Autor: Hartmut Geißler
nach Dieterich und Steitz
a) Zur Quellenlage
Die Quellenlage zur Reformationsgeschichte in Ingelheim ist sehr schlecht, denn weder im Ingelheimer Archiv selbst noch in anderen Archiven sind ausreichende Unterlagen dazu vorhanden, und was sich in Darmstadt aus der Bodmann-Habelschen Sammlung bis ins 20. Jahrhundert erhalten hatte, ist 1944 mit verbrannt. Deshalb ist man heute vor allem auf diejenige Sekundärliteratur angewiesen, die solche Quellen noch auswerten konnte.
Hier ist an erster Stelle der ehemalige Archivdirektor in Darmstadt, Julius Reinhard Dieterich zu nennen, der 1903/04 eine umfangreiche Darstellung der Reformationsgeschichte von Oppenheim veröffentlichte (Mainzer Stadtbibliothek Signatur 5/3606), bei der auch mehrfach der Ingelheimer Grund Erwähnung findet, weil er zum Reichspfandgebiet Oppenheim gehörte.
b) Die Vielschichtigkeit der Reformation
Bei den Vorgängen des 16. Jahrhunderts, die man unter dem Begriff "Reformation" zusammenfasst, ging es nicht nur um religiöse Fragen wie Sakramente, die Definition des Abendmahles (Wandlung in reales Fleisch und Blut oder ihr Sinnbild), die Heiligenverehrung, die Zucht der Kleriker, die Verweltlichung der Klöster, den Aberglauben des Volkes, sondern genauso sehr um die Verfügung über den Kirchenzehnt und die kirchlichen Pfründe. Diese Abgaben waren oft in die Hände von solchen Adligen geraten, die sie zwar für sich genossen, aber ihre damit verbundenen kirchlichen Aufgaben nur sehr schlecht (durch Vertreter) oder gar nicht ausübten. Die Domkapitel und die Klöster dienten in erster Linie der Versorgung von adeligen Söhnen oder Töchtern, für die keine weltliche Karriere oder Ehe zu vermitteln war. Deswegen verteidigten viele Adlige aus dem verständlichen Grund der Besitzstandswahrung die überkommene Form der katholischen Kirche.
Auf der anderen Seite schlugen sich manche verarmte Reichsritter wie Franz von Sickingen ebenso auf die Seite der Reformation wie die Bürger vieler Städte und in dumpfer Hoffnung auf Besserung ihrer Lage auch die Bauern der Bauernkriege.
Aus der Amtsstadt Oppenheim, zuständig auch für Ingelheim, weiß man, dass die Bürgerschaft sich schnell Luthers Forderungen anschloss, der selbst vor dem Reichstag in Worms 1521 sowie danach in Oppenheim Station machte und der Sage nach sein Lied "Ein feste Burg ist unser Gott" im Anblick der Oppenheimer Burg geschrieben haben soll.
Auch aus der Stadt Mainz kennt man viele Sympathisanten für Luthers Thesen.
Für den Ingelheimer Grund hingegen fehlen uns diesbezügliche Informationen. Soweit wir wissen, fand in den Orten des Ingelheimer Grundes weder eine Erhebung der Bauern wie 1525 im Rheingau sowie in den mainzischen Orten Algesheim und Bingen statt, noch ergab sich eine Reformation "von unten", also in der Form, dass örtliche Adlige und/oder Bürger und Bauern sie von sich aus förderten oder durchführten.
Denn erstens gab es hier keine eigentliche Stadt, in der sich die Bürger davon Vorteile versprachen, wenn sie die religiösen Dinge selbst in ihre (strengeren) Hände nahmen, und zweitens hätte eine "Verstaatlichung" des örtlichen Kirchenbesitzes wohl nur dem Pfälzer Kurstaat, aber nicht den Ingelheimer Adligen Vorteile gebracht. Den nichtadligen Ingelheimer Einwohnern - Bauern und Handwerkern - fehlte außerdem jede höhere, das heißt lateinische Bildung, durch die sie die theologischen Streitigkeiten ihrer Zeit hätten verfolgen können. Denn die Diskussion über Luthers Thesen fand vornehmlich in lateinischer Sprache in gelehrten akademischen Kreisen statt, während die Ingelheimer wohl darauf angewiesen waren, was man sich in Wirtshäusern über die Ereignisse ringsum erzählte.
Dass doch manche Ingelheimer schon vor den reformatorischen Aktionen der Heidelberger Kurfürsten zu einer Reformation der Kirche neigten, kann man vielleicht an dem erheblichen Anteil der Ingelheimer Studenten ablesen, die an die reformierten Universitäten von Marburg und Wittenberg (!) zum Studium gingen, also aus der Kurpfalz hinaus ins "Ausland" (Saalwächter, BIG 9, S. 23 f.).
Letztlich aber wurde die Reformation des Ingelheimer Grundes erst ab 1556von den Pfälzer Kurfürsten Ottheinrich und Friedrich III. durchgeführt, also vom früh-neuzeitlichen Staat der Kurpfalz, bzw. von dessen Amtsstadt Oppenheim aus, ein Jahr nach dem "Augsburger Religionsfrieden", der den jeweiligen Landesherren freie Hand ließ, mit ihren Untertanen religiös so zu verfahren, wie sie es für richtig hielten. Sie beanspruchten danach das lateinisch so genannte ius reformandi, das Recht, (selbst) zu reformieren, ohne Rücksicht darauf, dass es teilweise nur Reichs-Pfand-Gebiete waren, für die eigentlich weiterhin der König zuständig war.
c) Der Zustand vor der Reformation (nach Steitz)
Bis dahin gab es in Ober-Ingelheim
- die Pfarrkirche St. Wigbert (die heutige "Burgkirche") mit sieben Altären
- eine auf dem Friedhof daneben gelegene Totenkapelle St. Michael mit zwei Altären
- die Kapelle zum hl.Justus/Jodokus mit dem Hospital bei der Rinderbach (-gasse) mit einem Altar
- die Kapelle im Kloster Engelthal mit einem Altar
- die außerhalb gelegene Kapelle zum Heiligen Kreuz am Weg nach Appenheim mit einem Altar und
- die des Karmeliterinnenklosters Ingelheimerhausen auf dem Mainzer Berg mit einem Altar
Die Angabe der Zahl der Altäre ist deshalb wichtig, weil viele kirchlichen Einkünfte an die Altäre gebunden waren, denn der Sinn der frommen Stiftungen im Mittelalter lag eigentlich darin, dass an diesen Altären regelmäßig für die Seelen der Verstorbenen in Messen gebetet werden sollte, um sie eher aus dem Fegefeuer zu erlösen. Eigentlich. Da aber die Vikare, die "Altaristen", die an solchen Gedenkaltären Dienst taten, auch die Lehrer waren, wurden solche Einkünfte zu deren Unterhalt verwendet.
Dazu gab es ein Pfarrhaus und mindesten drei Altaristenhäuser bei der Kirche.
Im Pfarrhaus wohnten nach der Reformation weiterhin die (reformierten) Pfarrer, bis 1669/70 ein neues Pfarrhaus gebaut wurde. Die Altaristenhäuser wurden zum Schulhaus, zur Lehrerwohnung und zur Glöcknerwohnung.
In Nieder-Ingelheim gab es
- die alte "Pfalzkapelle" und Pfarrkirche St. Remigius mit vier Altären
- die Stiftskirche im Saal des Augustiner-Chorherrenstiftes, die "Saalkirche" (mit mehreren Altären; Gs)
- ferner das Heiliggeist-Hospitalvor St. Remigius mit einem Altar zum Hl. Geist
- eine Michaelskapelle auf dem Kirchhof mit einem Altar
- und die Kreuzkapelle oben auf der Steig mit einem Altar
Alle diese Altäre wurden mit der Reformation ab 1565 aufgegeben und abgerissen, und die bisherige Kirche St. Remigius diente nun der reformierten Kirchengemeinde als Kirche.
Frei-Weinheim gehörte vor und nach der Reformation bis 1690 als Filial zu Nieder-Ingelheim. (Saalwächter, BIG 13, S. 92ff.) Aus dieser Zusammengehörigkeit ergab sich der damals viel begangene Kirchweg, eine direkte Diagonalverbindung von Frei-Weinheim zur Remigiuskirche. Er ist heute nur noch in Bruchstücken vorhanden.
Bei der Pfälzer Kirchenteilung fiel die Nieder-Ingelheimer Pfarrkirche (St. Remigius) am 6. Juni 1707 wieder den Katholiken zu, wurde aber 1738 wegen Baufälligkeit bis auf den staufischen Glockenturm abgerissen und durch den bis heute existierenden barocken Neubau ersetzt. Mit der Kirche fiel den Katholiken auch das Heiliggeist-Hospital zu.
Die Kirche im Saal wurde nach der Reformation 1576 als Kirche aufgegeben und zu weltlichen Zwecken umgewidmet. Im 17. Jahrhundert verfiel sie, wahrscheinlich auch unter dem Einfluss des Dreißigjährigen Krieges (hier der Schweden). Ihre Ruinen wurden nach der Kirchenteilung den Reformierten überlassen, die sich Chor und Seitenschiffe wieder als Kirche aufbauten (s. Geschichte der Saalkirche).
Auch in Nieder-Ingelheim gab es ein Pfarrhaus ("St. Kilian") und mindestens drei Altaristenhäuser, die wie in Ober-Ingelheim weiter als Pfarrerwohnung, als Schulhaus und als Lehrerwohnungen genutzt wurden.
In beiden Orten verschwanden also die zusätzlichen Kapellen, die meisten Altäre und die Kirchen und die damit verbundenen Wohnhäuser wurden vor den jeweils herrschenden Glaubensrichtung umgebaut und genutzt, zeitweise auch simultan durch Reformierte und Katholiken gemeinsam.
d) Der Beginn der systematischen Reformation durch Kurfürst Ottheinrich ab 1556
Der vom lutherisch reformierten Neuburg an der Donau aufgrund der Erbfolge nach Heidelberg gekommene Ottheinrich ließ sich zur Durchführung seiner reformatorischen Vorstellungen nach seiner Amtsübernahme von einer Kommission zuerst einen Visitationsbericht erstatten mit Verbesserungsvorschlägen bei Missständen. Darin heißt es über die Zustände in Ober-Ingelheim:
"Zu Oberingelheim hats ainen gelerten Pfarher; mit den andern wirt wenig nutz geschafft. Das Examen ist in beysein etlicher vom Adel mit inen gehalten worden, die ain groß wolgefallen daran hetten. Sonnst war es noch alles papistisch."
Das heißt, es gab zwar einen "gelehrten" Theologen in Ober-Ingelheim, aber die anderen (Altaristen?) waren für einen kirchlichen Dienst, wie ihn sich der Kurfürst, Luther folgend, vorstellte, mit deutscher Predigt, wenig geeignet, weil sie bisher ja nur lateinische Texte ritualisiert an ihren Altären aufsagen mussten. Insgesamt war Ober-Ingelheim also noch katholisch, obwohl die örtlichen Adligen, wie extra angemerkt wurde, ein Wohlgefallen an der Überprüfung gehabt hätten. Und das noch längere Zeit so blieb, lässt sich ohne sichere Nachrichten nicht feststellen.
e) Die (calvinistische) Fortführung unter Friedrich III. (dem "Frommen") ab 1565
Schon nach drei Jahren Regierung (1559) starb jedoch der stark übergewichtige Ottheinrich, sodass die lutherische Reformation abbrach. Denn unter seinem Nachfolger Friedrich III. aus der Linie Zweibrücken-Simmern wurde sie in eine calvinistische Richtung umgelenkt, auch wenn man diese Bezeichnung sorgfältig vermied, weil sich die Pfalz sonst außerhalb des Augsburger Religionsfriedens von 1555 gestellt hätte, in die der "Calvinismus" nicht mit einbezogen worden war.
In der Regierungszeit des kompromissbereiten Kaisers Maximilian II. (1564-1576) konnte Friedrich seine reformtorischen Absichten offener verwírklichen: Die neuerliche Umgestaltung erfolgte nun auf der Basis einer neuen "Kurpfälzischen Kirchenordnung" von 1563 mit dem "Heidelberger Katechismus". Die bisherigen (lutherischen) Pfarrer und Lehrer wurden zumeist abgesetzt und durch reformierte Prediger und Lehrer ersetzt. Dies führte zu mancherlei Problemen. Der Heidelberger Katechismus diente nun als Lern- und Lesebuch in den Schulen.
Friedrich, der sich persönlich sehr intensiv mit Glaubensdingen befasste, wie aus seinen vielen erhaltenen Briefen hervorgeht, sah es als seine Regentenpflicht an, durch geeignete Reformen für das Seelenheil seiner Untertanen zu sorgen.
Zu diesem Zweck suchte er in Begleitung einiger reformierter Theologen am 12. Mai 1565 das Amt Oppenheim auf, zu dem folgende Pfarrorte gehörten, zu einer Kirchenvisitation :
- Oppenheim selbst
- Nierstein,
- Schwabsburg
- Dexheim
- Odernheim
- Weinolsheim
und der Ingelheimer Grund mit
- Ober-Ingelheim
- Nieder-Ingelheim
- Frei-Weinheim (Filial von Nieder-Ingelheim)
- Wackernheim
- Großwinternheim
- (Sauer-) Schwabenheim
- Elsheim
- Bubenheim
Der Kurfürst sorgte nun in Oppenheim persönlich für die Umgestaltung. Schon die Vorbesprechungen im Dalberger Hof, wo er Quartier genommen hatte, veranlassten den Oppenheimer Rat, die goldenen und silbernen Abendmahlsgeräte aus der Katharinenkirche in Sicherheit zu bringen. Am folgenden Tag, am Sonntag, dem 13. Mai, besuchte der Kurfürst den Gottesdienst in der Katharinenkirche und bestellte anschließend die Pfarrer und Schulmeister sowie die Kapitelherren zu sich. Dann begann er selbst das bei Kirchvisitationen übliche Examen durchzuführen, was die kurfürstlichen Räte später fortsetzten. Das Resultat: Alle Geprüften wurden als nicht "rechtgläubig" eingestuft, da sie sich einmütig zum lutherischen Katechismus und seiner Abendmahlslehre bekannt hatten. Dafür wurden sie vom Kurfürsten als "Papisten und Werkheilige" gescholten.
Danach wurden alle lutherischen Geistlichen, sofern sie sich nicht der neuen Lehre anschlossen, entlassen, woran auch die Proteste des Rates mit dem Verweis auf alte kaiserliche Rechte der verpfändeten Reichsstadt nichts zu ändern vermochten. Im Gegenteil: Der Kurfürst überreichte dem Rat seine "Verbesserungspunkte" mit der Anordnung sie zu befolgen. Das sollten einige seiner Räte, die in Oppenheim blieben, überwachen. Dies geschah in den nächsten Tagen unverzüglich und gründlich, auch in den anderen Kirchen und Klöstern des Amtes Oppenheim, somit auch im Ingelheimer Grund (siehe Nr. 12 des Dokumentenanhangs bei Dieterich 1904, S. 127 f.).
Wandbilder in den Kirchen wurden weiß übermalt, wie bei den Restaurierungen der Burgkirche bestätigt werden konnte. Kruzifixe, Heiligenfiguren und Altäre wurden aus den Kirchen entfernt, das Marienfenster im Chor der Burgkirche blieb jedoch erhalten. Auch die Adels-Epitaphien blieben erhalten.
Von den Gemeindemitgliedern wurde regelmäßiger Gottesdienstbesuch an Sonntagen verlangt, sowohl des Hauptgottesdienstes als auch des Nebengottesdienstes am Nachmittag (mit Kinderlehre). Amtleute sollten dies überwachen und Säumige ggf. bestrafen. Heute würde man diese Reformationspolitik nach Zwingli und Bucer vielleicht als puritanisch oder fundamentalistisch charakterisieren.
In ihrem Zorn über solche Zwangsmaßnahmen verbündeten sich die Katholiken und Lutheraner von Oppenheim und verfassten eine Beschwerdeschrift an den Kaiser Maximilian. Das Schicksal der Kurpfalz unter Friedrich und damit auch seiner calvinistischen Reformation hing an einem seidenen Faden. Denn er hatte es nur einer für ihn günstigen reichspolitischen Situation bei dem Reichtstag in Augsburg 1566 zu verdanken, dass er nicht wegen seiner Abendmalslehre als ketzerisch verurteilt wurde und damit der Reichsacht verfallen wäre. Sein lutherischer Verwandter, Pfalzgraf Wolfgang von Zweibrücken, wartete wahrscheinlich schon auf eine Übernahme der Rheinpfalz. Aber Friedrich, der ja peinlich jeden verbalen Bezug auf einen "Calvinismus" vermieden hatte, versuchte darstellen, dass auch er auf dem Boden der Augsburger Konfession von 1555 stünde. Der Kaiser und Friedrichs Feinde fanden schließlich zu wenig Bundesgenossen unter den Reichsständen für seine Verurteilung.
Mit diesem Sieg im Rücken konnte Friedrich auch die Opposition der Oppenheimer gegen seine Reformen ersticken, obwohl sie beim Kaiser mit ihrem Protest Erfolg gehabt hatten, und es kam am 7. September 1566 zu einer gesichtswahrenden Einigung in Oppenheim. Danach musste sich auch die Bevölkerung der Ingelheimer Orte - mit Ausnahme der Ingelheimer Adligen! - dieser calvinistischen Reformation beugen.
Einzelheiten siehe bei Dieterich und den Auflagen für den Ingelheimer Grund!
Nach Friedrichs Tod 1576 folgte ihm sein Sohn Ludwig VI., der wieder lutherischen Überzeugungen anhing. Über ihn schrieb Friedrich von Bezold in der Allgemeinen Deutschen Biographie: "Im Innern hat Ludwigs Regierung trotz des lutherischen Bekenntnisses den unter Friedrich dem Frommen aufgekommenen Geist kirchlicher Strenge und calvinistischer Nüchternheit festgehalten." - Welche Folgen das für den Ingelheimer Grund hatte, dazu gibt es keine Dokumente, nur einen Aufsatz Saalwächters von 1937, der aufgrund zweier Berichte über die Huldigung der Bewohner des Ingelheimer Grundes 1577 in Ober-Ingelheim deren Verlauf nachzeichnet. Es wäre ein Wunder, wenn im Rahmen dieses Huldigungsbesuches nicht auch über religiöse Fragen gesprochen worden wäre.
Da Ludwig aber schon sieben Jahre später starb und ihm sein wiederum streng calvinistischer Bruder Johann Casimir, Pfalzgraf von Pfalz-Lautern, als Regent für den noch minderjährigen Sohn Ludwigs, Friedrich IV., folgte, der nach seiner Herrschaftsübernahme wieder den Calvinismus fortführte, blieb der Ingelheimer Grund bis zum Dreißigjährigen Krieg völlig calvinistisch reformiert.
f) Die Haltung des Mainzer Domstiftes
Die Reformation im Reichspfandgebiet Oppenheim mit dem Ingelheimer Grund festigte in der Folgezeit die Grenzen zu dem katholisch gebliebenen Kurmainz. Trotzdem beharrten das Mainzer Domstift und das St.-Stephans-Stift erfolgreich auf ihren Patronats- und Zehntrechten in Ingelheim. Im Jahre 1296 hatte nämlich der Abt des Klosters Hersfeld einen Teil seiner Einnahmen aus Ingelheim an das Mainzer Domkapitel verkauft.
Deswegen prüfte das katholische Domstift auch weiterhin die von der Kurpfalz eingestellten reformierten Pfarrer und vereidigte sie auf die Heilige Schrift und auf die Treue gegenüber dem Domkapitel, dessen Patronatsrecht nicht angetastet werde dürfe. Diese erstaunliche Prüfung und Vereidigung der Pfarrer existierte - mit Modifikationen - bis zum Jahr 1792, als das revolutionäre Frankreich alles änderte. Im Gegenzug beteiligte sich das Mainzer Domstift aber auch an Reparaturkosten; jedenfalls ist dies von der Ober-Ingelheimer Burgkirche 1674 bekannt. (Steitz, S. 70)
g) Die weiteren Entwicklungen
Dass es in Ingelheim wie in anderen kurpfälzischen Territorien nicht bei dem reformatorischen Stand vom Ende des 16. Jahrhunderts blieb (durchgehend calvinistisch), lag einerseits an den Besatzungen des Dreißigjährigen Krieges (katholische Kaiserliche und Bayern, lutherische Schweden, katholische Franzosen) und andererseits an dem Wechsel der Konfession in der Herrscherfamilie, als mit Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg 1685 ein katholischer Zweig der Wittelsbacher die Herrschaft in der Kurpfalz übernahm und nun wieder den Katholizismus begünstigte. Dies geschah insbesondere unter dem Kurfürsten Johannes Wilhelm (KF. 1690-1716) durch das Simultaneum 1698, wieder abgeschwächt durch die Pfälzer Religionsdeklaration 1705. In diesen Zusammenhang gehört auch die Gründung einer Jesuitenmission 1737 in Nieder-Ingelheim durch den niederrheinischen Obristen Anton Otto von Cloß.
Siehe auch: Tabelle der Konfessionen in Ingelheim im 16. - 18. Jahrhundert
Das dadurch verursachte konfessionelle Hin und Her des 16. und 17. Jahrhunderts führte jedenfalls dazu, dass es im Ingelheimer Grund seit dem 18. Jahrhundert konstant drei Konfessionen gab, die Reformierten (in Ober- und Nieder-Ingelheim überwiegend), die Katholiken (in Frei-Weinheim überwiegend) und die Lutheraner (mit der geringsten Zahl), mit eigenen Kirchen und Schulen. Diese Entwicklung war jedoch keineswegs immer von Toleranz geprägt, sondern brachte viele Konflikte und Vertreibungen mit sich. (Saalwächter, BIG 9, S.84-86)
Reformierte und Lutheraner schlossen sich erst in "rheinhessischer" Zeit unter der neuen Herrschaft von Hessen-Darmstadt am 28. November 1822 zu einer "vereinigten evangelischen Kirche" zusammen.
Gs, erstmals: 21.06.07; Stand: 15.04.21