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Ingelheim zur Zeit Karls IV.: Augustiner-Chorherrenstift und Verpfändungen


Autor: Hartmut Geißler


Seit dem vermutlichen Aufenthalt Albrechts von Österreich im September 1298 ist über ein halbes Jahrhundert kein deutscher König bzw. Kaiser mehr mit offiziellen Geschäften in Ingelheim verzeichnet. Erst König und Kaiser Karl IV. (1346/49 - 1378) wendete nach der Mitte des 14. Jahrhunderts seine Aufmerksamkeit der ehemaligen Pfalz Karls des Großen wieder zu. Im Jahr 1353 bestätigte er den beiden Reichsdörfern Ober- und Nieder-Ingelheim die bisherigen Privilegien und Freiheiten.  "Ingelheim" und das, was aus der ehemaligen Pfalz geworden war, eine burgähnliche Anlage, hatte aber nicht mehr die Bedeutung für das Reich, die das "palatium" in den Epochen der Karolinger und Ottonen gehabt hatte - als Versammlungsort für Großveranstaltungen. Die beiden Ingelheim (Ober- und Nieder-Ingelheim) erscheinen nun in den vielen Urkunden jener Zeit stets als Anhängsel der damals bedeutenderen Reichsstadt Oppenheim, z. B. in der Formulierung: "Oppenheim und Odernheim, burge(n) und stete, Swabsberg die burk, Nirstein, Yngelheim und Yngelheim, Wynternheim und andere dorffer, die darzu gehorent" (Verpfändungsurkunde vom 12.02.1375)
 

Welche Bedeutung für Ingelheim hatte dieser "böhmische", d.h. tschechische König, deutscher König und römischer Kaiser aus dem Hause der "Luxemburger"?

Im Juni 2005 wurde er vom tschechischen Fernsehpublikum zum "allergrößten Tschechen" gewählt worden. Siehe Näheres auf der Seite Biographie Karls IV. Dort wird dieser tschechische und deutsche König, über den Tschechen mehr wissen als Deutsche, in Persönlichkeit und Handeln ausführlich dargestellt. Er griff zweimal in Ingelheim ein, wobei das zweite Mal, zwei Jahre vor seinem Tode, eine weit reichende Bedeutung hatte:

1. mit der Gründung des Augustiner-Chorherrenstifts "Karlsmünster" 1354 auf dem Gelände des Ingelheimer Saales und

2. mit den Verpfändungen der Einnahmen des Ingelheimer Reichsbesitzes 1375/7, die eine über vier Jahrhunderte dauernde Zugehörigkeit Ingelheims zur Pfalz bei Rhein zur Folge hatten.


Zu 1. Die Gründung des Augustiner-Chorherrenstiftes

Auf seiner dritten Reise durch den Südwesten des Reiches kam Karl aus dem Elsass über Speyer nach Mainz (nach den Urkunden vom 10. Dezember 1353 bis 12. Januar 1354), wo er Weihnachten feierte. In den Monaten zuvor hatte es einen erbitterten Streit um das Bistums Mainz gegeben, wo die Nachfolge nach dem Tod des einen Prätendenten am 21.12.1353 geregelt werden musste - eine schwierige diplomatische und auch finanzielle Situation, in der sich Karl damals in Mainz befand. Am 3. Januar vermittelte er dort in einem Friedensvertrag zwischen Erbischof Gerlach und dem mächtigen Dompropst Kuno II. von Falkenstein.  Von Mainz aus, wo seine Anwesenheit noch durch eine Urkunde, die am 12. Januar 1354 ausgestellt wurde, angenommen wird, könnte er theoretisch mit seinem Sekratriat und den notwendigen Zeugen einen Blitzbesuch in Nieder-Ingelheim gemacht haben, in der ehemaligen Pfalz, wo der Sage nach Karl der Große geboren wurde und von einem Engel das "Glaubensschwert" bekommen habe, wie in der Einleitung der Stiftungsurkunde vermerkt. Wahrscheinlich ist das jedoch nicht.

Von hier datiert aber die Stiftungsurkunde für das Augustiner-Chorherrenstift: "datum in Nidern Ingelheim" am 14. Januar 1354. War er aber wirklich von Mainz kommend persönlich in Nieder-Ingelheim? - Erheblich Zweifel daran sind erlaubt und geboten, denn er müsste von Mainz kommend (letzte Urkunde dort am 12. Januar), mit dem ganzen Sekretariat und den Zeugen schnell nach Ingelheim und von hier sofort weiter nach Frankfurt zur Krönung seiner Frau geritten sein, um dort von demselben 14. Januar bis zum Monatsende zu bleiben und um dann wieder zurück nach Mainz (31. Januar bis 2. Februar) und anschließend nach Trier (Urkunden ab 10. Februar) zu reisen. Vielleicht ist jedoch dieses Itinerar aufgrund von Urkundendaten keine sichere Auskunft über seine tatsächlichen Reisen und er hatte mehr Zeit zu einem Aufenthalt in Ingelheim, über dessen baulichen Zustand auch nicht viel bekannt ist.

Die Urkunde mit der Ernennung des Ingelheimer Propstes Moritz zum kaiserlichen "Almosinier" (ursprünglich zuständig für das Amosenwesen, damals aber wohl nur mehr für die Verwaltung königlicher Güter) drei Jahre später wurde nicht in Ingelheim, sondern in Mainz ausgestellt. Auch bei anderen Gelegenheiten hat Karl in Ingelheim keine überlieferten Geschäfte erledigt, obwohl er wiederholt die Rhein-Main-Gegend bereiste und dabei auch durch Ingelheim geritten sein muss und hier auch Rast gemacht haben kann, zuletzt in seinem Todesjahr 1378.

Faktisch bestand dieses Augustiner-Chorherrenstift bis zur Aufhebung in der Reformation durch den Pfälzer Kurfürsten Friedrich III., also bis 1565. Rechtlich hielt das Prager Mutterkloster an ihm aber noch lange Zeit fest, wie zuletzt eine Ernennungsurkunde aus dem Jahre 1740 (!) für einen neuen (Titular-) Propst für Ingelheim namens Thomas Stitzka zeigt.


zu 2. Die Verpfändungen des Ingelheimer Reichsbesitzes

Seit 1315 waren die Reichseinkünfte aus Oppenheim, Gau-Odernheim und dem Ingelheimer Grund immer wieder verpfändet worden (damals durch König Ludwig an den Mainzer Erzbischof Peter von Aspelt). Dies tat auch Karl IV. Um seinen enormen Geldbedarf zu befriedigen, verpfändete er überall königlichen Reichsbesitz, so auch mit einer am 24. Dezember 1356 ausgestellten Urkunde die Einkünfte aus Oppenheim, Odernheim, Ingelheim und allen dazu gehörenden Gebieten für 33.000 kleine Florentiner Gulden an die Stadt Mainz. Davor waren sie schon an das Mainzer Erzstift verpfändet gewesen.  Wahrscheinlich wurde ihm diese enorme Summe von Mainzer Juden vorgeschossen, da er drei Tage zuvor den Schutz der Mainzer Juden als königliche "Kammerknechte" erneuert hatte, vermutete Classen.

Es folgte eine längere komplizierte Kette finanzieller Transaktionen, die aber die Ingelheimer nur wenig berührten, denn wie Classen feststellt, ging es letztlich nur darum, an wen der Amtmann in Oppenheim die Gelder aus den Reichsabgaben aus Ingelheim und den anderen Reichsorten abführte.

Erst eine weitere Verpfändung wurde zu einem nachhaltigen Wendepunkt der Ingelheimer (und Oppenheimer) Geschichte: Um die vorzeitige Wahl seines Sohnes Wenzel zu seinem Nachfolger auf dem Thron des Reichs durchzusetzen, brauchte Karl auch die Stimme des Pfalzgrafen bei Rhein, nämlich die Stimme Kurfürst Ruprechts des Älteren. Diesem aber ging es nicht nur um Geld, sondern um die territoriale Abrundung seiner Gebiete, in Konkurrenz zu Kurmainz.

An ihn wurde nun im Mai 1376 die Pfandherrschaft über Oppenheim, Odernheim etc. und den Ingelheimer Grund und Reichsrechte in Kaiserslautern übertragen und die Pfandherrschaft der Stadt Mainz wirklich abgelöst.

Mit einer Verpfändung gingen folgende Rechte des Königs auf den Pfandherrn (hier die Kurfürsten von der Pfalz) über (nach Reifenberg, S. 59 ff):

  • Nutzung aller Einkünfte aus dem Pfandgebiet, sozusagen als Zinsen für die verliehene  Kreditsumme

  • Übernahme der königlichen Hoheitsrechte in Verwaltung und Gericht

  • in diesem Fall auch ausnahmsweise das Recht, Werte aus dem Pfandgebiet weiter zu verleihen (Lehensvergabe)

Diese Verpfändung wurde nie mehr abgelöst, und beim Friedensschluss nach dem Dreißigjährigen Krieg 1648 wurde das Reichspfandgebiet Oppenheim etc. stillschweigend als Vollbesitz der Pfalz akzeptiert und Ingelheim blieb vier Jahrhunderte kurpfälzisch, bis zur Neuordnung Deutschlands im Gefolge der Französischen Revolution. Seitdem gehört es nun über 200 Jahre zu Rheinhessen.

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Gs, erstmals: 23.03.06; Stand: 28.12.21