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Der Streit um die Zehntabgabe in Frei-Weinheim und Ober-Ingelheim


Autor: Hartmut Geißler
nach Alexander Burger, Streitigkeiten (S. 5 - 39)

Zu einem ausführlich, urkundengestützten Artikel von Andreas Saalwächter zu diesem Thema in BIG 9 (1958, S. 134-139)


Der "Zehnt" war eine Art Grundsteuer, die von den Grundbesitzern, seien es Privatpersonen oder kirchliche Institutionen, auf den Rohertrag von Äckern und Weinbergen erhoben wurde. Ursprünglich der "zehnte Teil", war er zur Unterhaltung von kirchlichen Gebäuden und zum Unterhalt der Geistlichen bestimmt.

Wenn im Laufe der Zeit der Grundbesitz durch Verkauf oder Neubelehnungen mehrfach seinen Besitzer wechselte, konnte oft der direkte Zusammenhang mit dem eigentlichen Zweck verloren gehen. Denn eigentlich sollten die Grundherren mit 18 bis 25 Prozent der Zehntabgaben ihren Verpflichtungen für Kirchen, Schulen und Geistlichen nachkommen, während der Rest - immerhin mehr als drei Viertel - ihnen persönlich zustand. An der Erfüllung dieser Verpflichtung, die oftmals nur mangelhaft eingehalten wurde (oder so erschien), entzündeten sich immer wieder Streitigkeiten.

Die Höhe des "Zehnten" nahm real im Laufe des Mittelalters durch verbesserte Bodenproduktivität ab und verringerte sich so auf etwa ein Zwanzigstel oder sogar nur ein Dreißigstel, wie beim Weinzehnt in Ober-Ingelheim im 18. Jahrhundert. Sie schwankte außerdem von Jahr zu Jahr, abhängig von den Ernteerträgen.

Burger stellt für die Orte Ober- und Nieder-Ingelheim des 18. Jahrhunderts folgende (vereinfachte) Besitzstruktur dar, die für den Zehntabgabe bedeutsam war (S. 6):

1. In Ober-Ingelheim bezogen den Weinzehnten
- zu einem Drittel die kurfürstliche Hofkammer,
- zu zwei Dritteln Frau von Geismar.
- Von dem Weinzehnten bekam ferner der reformierte Pfarrer 11 Ohm (=134-175 Liter);
- der Fruchtzehnt kam zu zwei Dritteln Frau von Geismar,
- zu einem Drittel dem Kurfürsten zu, der aber seinen Anteil dem reformierten Pfarrer als Teil von dessen Gehalt zuwies.
- Außerdem erhob der reformierte Glöckner von einem kleinen Distrikt Äcker den sogenannten "Glockenzehnten".


2. Nieder-Ingelheim war vom Weinzehnten ganz frei.
Den Fruchtzehnten bezog das Stift St. Stephan in Mainz, das auch den von Frei-Weinheim inne hatte, weil dieses früher mit Nieder-Ingelheim eine Gemeinde bildete.


Darüber, was in Frei-Weinheim zu verzehnten sei, erhoben sich langdauernde Auseinandersetzungen und Streitigkeiten, die bis zu gerichtlichen Klagen führten. Die rechtlichen Grundlagen dieser Zehntabgaben waren in der frühen Neuzeit in den jeweiligen Privilegienbriefen der Pfälzer Kurfürsten für den Ingelheimer Grund festgehalten, von denen derjenigen von 1747 (Kurfürst Karl Theodor) erhalten ist.

Zu den Verpflichtungen der Ober-Ingelheim Zehntherren ("Decimatoren") zitiert Burger den Text einer Urkunde, die sich bei Renovierungsarbeiten im Knopf des Burgkirchenturmes fand (1703 eingelegt):

"Juliana Sophia Mosbach von Lindenfels Wittib, geborene von Villanova, welcher anererbt zugehörig sein zwei Dritttheile des Frucht- und Weinzehends von Ober-Ingelheim. Den einen dritten Teil Fruchtzehenden geniesset ein zeitlicher Pfarrer zu seiner gehörigen Besoldung, den einen Dritttheil Weinzehenden trägt von Ihro kurf. Durchlaucht zu Pfalz zu Lehen Ihro Excellenz Graf von Wittgenstein. Hingegen ist die gnädigste Frau von Mosbach als Frau Decimatorln schuldig, von den zwei Dritttheilen des Weinzehenden zwei Dritttheil des Chors an hiesiger Kirche zu bauen und in Dach und Fach zu erhalten; von dem Fruchtzehenden hat sie keine Obligation [=Verpflichtung]. Von dem einem Dritttheil Weinzehenden so Herr Graf von Wittgenstein geniesset, ist selbiger schuldig: 1) ein Dritttheil des Chors an hiesiger Kirche zu bauen und in Dach und Fach zu erhalten. 2) das Pfarrhaus ganz allein, ohne Zuthun der Frau von Mosbach wegen ihrer zwei Dritttheil zu bauen und zu erhalten. 3) einem zeitlichen Pfarrer von diesem einen Dritttheil Weinzehenden jährlich zur Besoldung zu reichen 32 Lögel [Hohlmaß, ein niedriges Fass], welches ungefähr 2 Fuder [= ca. 60 Eimer] ausmacht."

In Nieder-Ingelheim war das St. Stephansstift zu folgenden Leistungen verpflichtet:
- Bau und Unterhaltung des Chors der St. Remigiuskirche sowie Bau und
- Unterhaltung des dortigen Pfarrhauses.

In Frei-Weinheim musste das St. Stephansstift als Empfänger des Fruchtzehnten ebenfalls den
- Chor der Pfarrkirche unterhalten.

Diese Verpflichtungen blieben interessanterweise noch erhalten, nachdem Kirchen in die Benutzung evangelisch gewordener Gemeinden übergangen waren, wie z.B. in Ober-Ingelheim die bisherige St. Wigbert-Kirche (die heutige Burgkirche). Darüber hat es nach Burger niemals interkonfessionellen Streit gegeben.

Der fand jedoch im Falle der Frei-Weinheimer Zehntstreitigkeiten innerhalb derselben Konfession statt. Hierbei ging es um die Einbeziehung der Abgabepflicht von anderthalb Morgen Wingert, die in Weinheim angelegt worden waren, und später um die Einbeziehung von Kartoffeln ("Grundbiren"), Raps und Kohl in die Zehntpflicht, die dem katholischen Pfarrer von Nieder-Ingelheim zugute kommen sollte, dem St. Stephan die Einnahmen überlassen hatte.

Darüber gab es einen mehrfachen Beschwerde-Schriftwechsel mit dem Oberamt in Oppenheim, und schließlich wandten sich die Weinheimer sogar an das kurfürstliche Hofgericht. Letztendlich musste die Gemeinde nachgeben (Einzelheiten s. Burger S. 10ff).


Der Streit um die Wein-Zehnabgaben in Ober-Ingelheimdauerte fast zwei Jahrhunderte, mindestens aber von 1620 bis zum Ausgreifen der französischen Revolution ab 1792 an den Rhein, die den Resten mittelalterlicher Herrschaft von Adel und Kirche auf dem linken Rheinufer ein Ende bereitete und alle feudalen Abgaben in moderne Steuern umwandelte.

Im Kern ging es in Ober-Ingelheim um vier Streitpunkte:

1. Sind die Ober-Ingelheimer Weingutsbesitzer verpflichtet, den vollen Zehnten abzugeben oder nur die Hälfte davon (= ein Zwanzigstel)?
2. Wo ist der Zehnte abzugeben: beim Einbringen an der Pforte, d.h. an einem der Wehrmauertore oder später in eine Bütte im Zehnthof, nachdem die Winzer ihren (besseren?) Wein aus den Weinbergen vorher hatten nach Hause fahren können?
3. Sind Kellervisitationen in den Gütern der Winzer legal, mit denen die Menge und Qualität des eigentlich geernteten Weines überprüft werden sollte?
4. Sollen die abliefernden Weinbauern, Adlige ebenso wie Nichtadlige, für jeden Lägel abgelieferten Weines drei Pfennig bekommen, als Anerkennung dafür, dass es eigentlich eine "freiwillige Zehntabgabe" wie in Groß-Winternheim sei?


Eine der prozessbeteiligten "Decimatoren" war die Familie Lopes de Villanova. Die Urenkelin von Martin Lopes, Freifrau Elisabeth Charlotte von Mosbach, die den Assessor beim Kaiserlichen und Reichskammergericht in Wetzlar, Christoph Gottfried Freiherrn von Geismar 1722 geheiratet hatte, führte den ersten Teil dieses jahrzehntelangen Rechtsstreites, der nur durch die turbulenten Zeiten des Dreißigjährigen Krieges zeitweilig unterbrochen war, mit einem Vergleich zu Ende, denn das endliche Urteil des Reichskammergerichtes vom 19. Januar 1720 - ein Kompromiss über die Ablieferung eines Zwanzigstels mit einer Pflicht zur Nachzahlung für 98 Jahre (!) - wollten die Ober-Ingelheim immer noch nicht anerkennen.

Der Vergleich wurde am 7. September 1726 geschlossen. Er setzte die Abgabemengen fest, erlaubte der Familie Geismar die Führung eines Zehntregisters mit Kellervisitation und als Kompensation für den Verzicht auf eine Nachzahlung für die 98 Jahre eine Grundstücksübertragung an Frau von Geismar, aber auch das Wegerecht für die Gemeinde durch den Geismarschen Garten zur Kirche (ausführliche Details bei Burger, S. 28).

Im Jahre 1772 flammte der Streit durch einschränkende Anordnungen der Pfälzer Regierung, die selbst Decimator geworden war, wieder auf, aber eine erneute gerichtliche Klage der Ober-Ingelheimer Winzer wurde abgewiesen und die Regierung legte nunmehr (1773) in einer Verordnung fest, wie "zu Ober-Ingelheim geherbstet und verzehndet werden soll". Sie legte u.a. fest:

- Eichpflicht für alle Transportgefäße Registrierung der Ernte vor den Toren durch angestellte "Herbst- und Zehndschreiber"
- Einteilung der Weinberge in drei Teile (Banne), die jeweils einem Tor zugeordnet wurden, das benutzt werden musste
- Verpflichtung von Ober-Ingelheimer Weinbergseigentümern aus Groß-Winternheim oder Nieder-Ingelheim, ihre Ernte ebenfalls an den Toren registrieren zu lassen
- Abgabepflicht von einem Dreißigstel des Weißen ebenso wie des Roten an den Zehnthof
- Strafandrohung, falls die abgelieferte Menge nicht mit den Daten der registrierten Menge übereinstimme
- Anstellung eines Zehntschreibers im Zehnthof zur Kontrolle
- Lese aus zehntfreien Weingärten einen Tag vor der eigentlichen Lese und Einbringung nur durch das Rinderbachtor mit Kontrolle durch den dortigen Zehntschreiber
- Verpflichtung zur Führung eines Weinbergsregisters durch den Rat
- Verbot des Hinausfahrens zur nächtlichen Weinlese nach einem abendlichen Glockenzeichen


Auf Protest bei den Ober-Ingelheimer stießen vor allem die Punkte über die Eichpflicht, die Trennung von Rot- und Weißwein, sowie die Einteilung in drei Banne. Die Gemeinde protestierte bei der Pfälzer Regierung in Mannheim und weigerte sich 1774 die Eichung durchzuführen; auch fanden sich keine Personen, die dazu bereit gewesen wären, die Posten der Zehntschreiber an den Toren zu übernehmen. Schließlich brach die Mannheimer Regierung den Ober-Ingelheimer "Aufruhr" durch kostenpflichtige Einquartierung von Militär und durch empfindliche Geld- und Haftstrafen für die Anführer. Zur Begleichung der Kosten mussten die Gemeinde sogar ein Kapital von 6.000 Gulden aufnehmen. Eine vereinfachte Leseordnung wurden danach bis zur französischen Zeit ohne weitere Proteste angewendet.

Burger urteilt über den zweihundertjährigen Streit am Ende seines Aufsatzes (S. 36/38):

"Durch zwei Jahrhunderte gingen die Kämpfe um den Weinzehnten, die Ober-Ingelheim, allein auf sich gestellt, ausgefochten hat... Dabei gingen diese Auseinandersetzungen weit hinaus über rein örtliche Interessen. Denn in ihnen zeigte sich erneut die Sturheit einer Naturalabgabe, die ohne Rücksicht auf Qualitätsunterschiede nur nach dem reinen Ertrag verlangt wurde. Es war das ja gerade, namentlich in der letzten Epoche der Streitigkeiten, immer wieder betont worden, daß weniger die Höhe der Abgabe (wenn diese natürlich auch ins Gewicht fiel), sondern die Art, wie sie erhoben wurde, den Grund zur Klage bildete. Es war ein den auf seinen Weinbau besonders stolzen Ober- Ingelheimer niederdrückendes und verletzendes Gefühl, wenn nach mühevoller, durch das ganze Jahr gehender Arbeit im Weinberg nun endlich die Trauben geherbstet waren, bei der Einfahrt in die heimischen Tore die Zehntschreiber mit dem Eichstock in den Fässern herumstocherten, um den Ertrag festzustellen."

Dieser Registrierungspflicht an den Toren verdanken wir heute wahrscheinlich den relativ guten Erhaltungszustand von dreien der vier Tore in Ober-Ingelheim, des Uffhubtores, des Stiegelgässer Tores (auch wegen der Wohnung darüber und daneben) und des Ohrenbrücker Tores (allerdings stark restauriert), denn sie wurden als Kontrollpunkte noch länger gebraucht als die Wehrmauern selbst. Das untere Altengässer Tor und das Rinderbacher Tor wurden 1846 bzw. 1820 wegen Baufälligkeit völlig abgetragen und letzteres durch einen Neubau ersetzt, der wiederum 1973 abgerissen wurde.

 

Gs, erstmals 08.04.08; Stand: 21.03.21