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24. Synagogenplatz mit Gedenkstele


Autor: Hartmut Geißler
nach Unterlagen des Sebastian-Münster-Gymnasiums
und des Deutsch-Israelischen-Freundeskreises (DIF)


Unter Leitung des Kunsterziehers Guido Ludes, später Professor an der Fachhochschule in Wiesbaden († 2013), wurde 1992 von Schülern eines 12er Leistungskurses für Bildende Kunst am Ingelheimer Sebastian-Münster-Gymnasium der Entwurf für eine Denkmalstele zur Erinnerung an die alte Ober-Ingelheimer Synagoge geschaffen.

Dieser Entwurf wurde vom Deutsch-Israelischen Freundeskreis (DIF) unter Leitung von Hans-Georg Meyer ausgewählt und durch die Baufirma Gemünden an der Stelle errichtet, an der bis zu ihrer Zerstörung 1938 - im Hinterhof des Hauses des jüdischen Lehrers und Rabbiners Langstädter, Stiegelgasse Nr. 25 - die Oberingelheimer Synagoge stand (heute daher "Synagogenplatz"). Die Stele enthält im Fundament auch einen Stein vom Sinai.

Eingeweiht wurde sie 1992 im Beisein der Kultusministerin Götte und vieler Freunde des DIF.

An ihr finden jährlich die Veranstaltungen zur Erinnerung an die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 statt.

 

Im Jahre 2008 wurde der Platz umgestaltet, und statt zweier Messingplatten zu Füßen der Stele wurde an der Seitenwand der benachbarten Garage eine neue zweisprachige Informationstafel angebracht (englisch und deutsch), auf der auch die überarbeitete Liste der aus Ingelheim verschleppten und ermordeten bzw. vermissten Juden verzeichnet ist.

Nicht alle Unklarheiten bei den darauf angegebenen Personendaten konnten ausgeräumt werden.

Der deutsche Text der Informationstafel lautet:

„…denn Fremde sind gekommen über die Heiligtümer des Ewigen.“ (Jeremia 51,51)

Hier stand das Gotteshaus der jüdischen Religionsgemeinde von Ingelheim. Es wurde 1841 eingeweiht und während des Pogroms am 10. November 1938 durch Ingelheimer und andere geschändet und zerstört. Damit und mit der späteren Deportation unserer letzten jüdischen Bürger endete in Ingelheim das jüdische Gemeindeleben. Die jüdischen Einwohner Ingelheims wurden durch die nationalsozialistische Diktatur 1933 - 1945 ihrer Rechte beraubt. Einige wurden vertrieben oder mussten fliehen und an anderen Orten eine neue Existenz aufbauen. Viele andere wurden in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert und ermordet.

Wir erinnern uns in Trauer und Scham. Bürger der Stadt Ingelheim 1971/1991/2008.

 

 

 

Die Synagoge

Bereits im 18. Jahrhundert existierte in Ober-Ingelheim ein bisher nicht zu lokalisierender Betraum. Am 27. August 1841 wurde im hinteren Teil des Grundstücks Stiegelgasse 25 ein Neubau der Synagoge eingeweiht.

Am 10. November 1938 schändeten und plünderten Ingelheimer und andere die fast 100 Jahre alte Synagoge. Die Ruine wurde abgerissen und durch die Stadt Ingelheim verkauft.


Das Denkmal

Als Zeichen der Erinnerung und Mahnung steht heute die Stele neben dem Standort der zerstörten Synagoge. Seine durchlöcherte Oberfläche symbolisiert die Spuren der Verletzung: ein Sinnbild für ein einstmals existierendes intaktes Haus – die israelitische Gemeinde Ingelheim. Oben sind zwei Davidsterne dargestellt, einer erhaben, einer vertieft. Sie symbolisieren helle und dunkle Stunden in der Geschichte des jüdischen Volkes. In die Basis der Stele eingegossen ruht ein Stein vom Berg Sinai als Zeichen des Respekts und Bezugs zur jüdischen Tradition. Im engen Dialog hierzu verstehen sich die in die Stele eingearbeiteten Natursteine rheinhessischer Herkunft und Bautradition als Sinnbild der Heimat der Ingelheimer Juden.

Im Jahre 1992 setzten Schülerinnen und Schüler des Sebastian- Münster-Gymnasiums in Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Israelischen Freundeskreis dieses Zeichen.

 

Die Namen der 84 aus Ingelheim Deportierten und Ermordeten bzw. Vermissten,
mit Geburts- und Sterbejahr, falls bekannt:

ABRAHAM Recha 1863 1942
BAUM Clothilde Anna 1868 1942
BAUM Emma 1875 1942
BLOEMENDAL Lina 1873 1942
BLOEMENDAL Manfred 1907 1944
BÖßMANN Adolf 1862 1943
BÖßMANN Emma / Emmy 1864 1942
BONNÉ Adele 1867 1944
DANIEL Flora 1904 1942
DOINY Pauline 1879 1943
DOINY Samuel 1877 1943
EISEMANN Siegfried Markus (Marius) 1890 1942
EISEMANN Ernst Simon 1891 1943
EISEMANN Thekla 1902 1943
FEIBEL Ferdinand 1868 1943
FELSENTHAL Fanny 1865 1943
GLAS Max 1896 1943
GLAS Irma 1913 1942
HAHN Hermann 1888 1942
HAHN Emilie Mathilde (Emmi) 1905 1942
HAUSMANN Johanna 1862 1942
HENE Rosa 1864 1942
KAHN Emilie 1879 1943
KAHN Eugen 1872 vermisst
KAHN Florentine/Flora 1880 vermisst
KAHN Fritz 1910 1939
KAHN Wilhelm 1880 1942
KAHN Bertha 1888 1942
KAHN Marx Harry Heinrich (Henri) 1900 1942
KAHN Rieke 1867 1940
KLEIN Josef 1880 vermisst
KLEIN Hedwig 1889 vermisst
KOCH Lina 1883 vermisst
KOCH Alfred 1886 1942
KRAUSKOPF Leopold 1895 1942
KRAUSKOPF Paula 1899 1942
LANGSTÄDTER Louis 1879 1942
LANGSTÄDTER Elisabeth 1895 1942
LÖ(OE)B Erna 1905 1943
LÖ(OE)B Ernst 1891 vermisst
LÖ(OE)B Günther 1927 vermisst
LÖB Sigmund 1865 1941
MAAS Selma 1888 1943
MAYER Henriette (Mina) 1861 1942
MAYER Margot Lea 1922 vermisst
MAYER Olga 1886 vermisst
MAYER Otto Friedrich 1882 1942
MAYER Johannette (Johanna) 1880 1942
MAYER Ferdinand 1887 1940
MAYER Robert Heinrich 1888 1943
MEYER Catherina 1882 1943
MICHEL Max 1868 1943
MÜLLER Simon 1878 vermisst
MÜLLER Flora 1878 vermisst
NEUMANN Karl 1872 1943
NEUMANN Luise (Lilly) 1882 1944
NEUMANN Moritz 1878 vermisst
NEUMANN Hedwig 1883 vermisst
NUSSBAUM Lotte 1920 1942
OPPENHEIMER Werner Moritz (Maurice) 1921 1942
OPPENHEIMER Anita 1923 1942
OPPENHEIMER Ernestine (Erna) 1899 vermisst
OPPENHEIMER Sophie 1874 1944
RAPHAEL Fanny 1869 1942
ROSENAU Ida 1864 1943
SCHÄFER Arthur (Ernst) 1894 1942
SCHÄFER Betty 1904 1942
SCHÄFER Inge Sybilla 1927 1942
SCHÖNTHAL Anna 1875 vermisst
SELIGMANN Jenny 1870 1941
STEIN Ida 1885 vermisst
STEIN Auguste 1890 vermisst
STEIN Anna 1881 vermisst
STERN Auguste 1878 1943
STERN Hedwig Luise 1877 vermisst
STERN Emma 1851 1942
STRAUSS Emma 1879 1944
WERTHEIM Anna (Friederike) 1903 vermisst
WERTHEIM Josef 1893/95 vermisst
WERTHEIM Renate 1935 1942
WOLF Berta 1856 1942
WOLF Frieda 1883 vermisst
WOLF Albert 1879 1942
WOLF Ida (Frieda, Hilda) 1897 1944

 

Durch die Bearbeitung der Zugtransporte in Vernichtungslager durch Dr. Cornelia Shati-Geissler von der Forschungsstelle in Yad Vashem (Jerusalem) wurde geklärt, dass die auf dieser Liste als vermisst bezeichneten Personen höchstwahrscheinlich alle zur direkten Vernichtung nach Treblinka gefahren wurden.

Siehe: https://deportation.yadvashem.org/index.html?language=de&itemId=9439306&ind=12

Die Synagoge stand hinter den nicht unterbrochenen Häusern an der Stiegelgasse, die von der Mitte des linken Randes schräg hinab zur Mitte des unteren Randes verläuft. Der heutige "Jungfernpfad" wurde erst nach dem Abbruch der Synagoge bis zur Einmündung in die Stiegelgasse verlängert.

Das Eingangstor befand sich in der Stiegelgasse. Durch einen kleinen Garten erreichte man über ein paar Stufen das Portal der Synagoge. Ein Seiteneingang führte zur Frauenempore, ein weiterer zum Standort des Synagogenchors, wo sich auch eine Orgel befand. Der Hauptsaal hatte 10-12 Sitzreihen mit je fünf bis 6 Sitzplätzen auf beiden Seiten. Der Thoraschrank mit der Torarolle stand im halbkreisförmigen Ende des Saals auf einem erhöhten Platz. Dort wurde aus der Thorarolle gelesen und vorgebetet. Der Vorbeter hatte seine Wohnung im Obergeschoss.


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Gs, erstmals: 04.04.06; Stand: 09.03.21