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Der Präfekt Jeanbon (de) St. André


Autor: Hartmut Geißler
nach: Mendelssohn, BIG 49, S. 47ff.
und Kohlstruck 2013/15

(2016 stark überarbeitet)

 

Nach dem Friedensschluss von Lunéville 1801 wurden die vier neuen Départements am 23.09.1802 dem restlichen Frankreich völlig gleichgestellt. An der Spitze des Donnersberg-Départements stand der Präfekt André Jeanbon.

Über ihn schreibt Dr. Gabriele Mendelssohn einleitend:

Vom 20. Dezember 1801 bis zu seinem Tod am 10. Dezember 1813 war der ehemalige Jakobiner Jeanbon St. André Präfekt des Departements Donnersberg. Ihm kam als Mittelsmann zwischen den Gesetzen und Forderungen der französischen Regierung und den Bedürfnissen und Wünschen der Bevölkerung eine entscheidende Rolle zu. Als lebenslanger Verfechter der Ideale und Errungenschaften der Französischen Revolution blieb er streng und unnachgiebig bei der Durchsetzung von Reformen. Ebenso viel Harte und Energie zeigte er als Vertreter des Kaiserreichs. Aber er galt auch als gerecht, loyal und nicht zuletzt als volksverbunden, als „unser guter Vater Präfekt“ (S. 50).

Sein volkstümlicher Mainzer Spitzname lautete "Schinkenandres" (verfremdet von franz. jambon = Schinken).


André Jeanbon, wie er mit seinem Taufnahmen hieß, wurde am 25.02.1749 im südfranzösischen Montauban (ca. 50 km nördlich von Toulouse) als zweiter Sohn einer wohlhabenden hugenottischen Kaufmannsfamilie geboren. Da die offene calvinistische Religionsausübung damals noch verboten war, musste die Familie ihren Glauben versteckt leben. Jeanbon besuchte die einzige höhere Schule am Ort, das Jesuitenkolleg.

Weil sein älterer Bruder das elterliche Geschäft übernahm, begann André nach dem Schulabschluss eine Ausbildung als Seemann in Bordeaux und stieg auf bis zum Kapitän in der Handelsmarine. Diese seemännischen Laufbahn gab er jedoch nach drei Schiffbrüchen, bei denen er all sein Kapital verlor, wieder auf, studierte stattdessen im schweizerischen Lausanne reformierte Theologie und trat 1773 eine Pfarrerstelle in Castres (Dep. Tarn) an sowie nach dem Toleranzedikt für die Hugenotten in Montauban (bis 1790).

Im Jahre 1778 heiratete er mit 29 Jahren Marie de Suc, aber die Ehe blieb kinderlos, und das Ehepaar lebte später dauernd getrennt. Von anderen Frauen ist aus Andrés Leben nichts bekannt. Nach Mainz ließ er seine blinde und kränkliche Schwester kommen, desgleichen zwei Neffen, einmal Jean Marie Belluc, den er schon einige Jahre an seiner Seite hatte. Den machte er zum Direktor des staatlichen Tabakmonopols in Speyer. Belluc heiratete die Schwester des Mainzer Geschichts-Professors Bodmann. Ihre Tochter wurde von André als Alleinerbin eingesetzt. Auch einen zweiten Neffen, Raimond Jeanbon, holte André nach Mainz und machte ihn zum Beamten der Mainzer Behörde für die Schifffahrtsgebühren. Er sorgte also für seine Familie.

Nach dem Ausbruch der Revolution 1789 entstanden Unruhen in Montauban, sodass er zuerst nach Bordeaux floh und erneut seinen Lebensschwerpunkt wechselte, indem er begann, sich politisch zu betätigen. Nach seiner Rückkehr nach Montauban wurde er Vorsitzender des örtlichen Jakobinerclubs, der "société populaire". In der Folgezeit bestimmte die Politik bis zu seinem Tode völlig sein Leben, er wurde Gemeindebeamter in Montauban und ließ sich am 6. September 1792 als Abgeordneter in der Nationalversammlung in Paris wählen, deren Präsident er sogar kurzzeitig war (vom 11. bis 25. Juli 1793).

Nachdem er sich zuerst den gemäßigten Girondisten angeschlossen hatte, wurde er bald radikaler Parteigänger des führenden Jakobiners Robespierres, stimmte im Januar 1793 für die Todesstrafe für den französischen König und wurde Mitglied des berüchtigten „Wohlfahrtsausschusses“, aber auch des „Marinekomitees“. Hauptsächlich befasste er sich nun mit der Reorganisation der französischen Marine.

Sein Lebensstil blieb einfach und bedürfnislos:

Er galt als einer der hervorragendsten Redner der Nationalversammlung und als einer ihrer engagiertesten Arbeiter. Der französische Historiker Hippolyte Taine beschrieb ihn später in dieser Lebensphase wie folgt: '…er hat Holzschuhe und eine wollene Jakobinerjacke an, isst ein Stück hausbackenen Brotes, trinkt ein Glas schlechten Bieres und schreibt und diktiert, bis ihm die Kräfte versagen; dann wirft er sich, um zu schlafen, auf eine am Boden liegende Matratze‘. (wikipedia Jeanbon, 09.08.11)

Im Sommer 1793 wurde er zum den Revolutionstruppen in den Norden und Osten Frankreichs (Ardennen, Rhein und Mosel) geschickt, um diese nach den Niederlagen jenes Jahres wieder zu ermutigen. Im September 1793 übernahm er eine Mission in den französischen Kriegshäfen Brest und Cherbourg, wo er sich um die Organisation der Schifffahrsschulen bemühte. Er wurde sogar Befehlshaber einer französischen Flotte, die einen US-amerikanischen Schiffskonvoi mit Waffen für die Revolutionäre gegen englische Angriffe schützen sollte. Anschließend wurde nach Südfrankreich geschickt, um sich im Militärhafen Port-la-Montagne bei Toulon um den Wiederaufbau einer Flotte zu kümmern.

Die Abwesenheit von Paris während des Sturzes der Terrorherrschaft rettete ihm, dem Parteigänger des hingerichteten Robespierre, wahrscheinlich das Leben. Er wurde jedoch nach seiner Rückkehr nach Paris am 28.05.1795 verhaftet und bis in den Oktober in Haft gehalten. Dort im Gefängnis hat ihn der gleichfalls verhaftete Präsident des Wohlfahrtsausschusses, der berühmte Maler Jacques-Louis David, gezeichnet (Bild - aus wikipedia - heute im Art Institute of Chicago). Durch eine Generalamnestie kam er frei und wurde kurz danach zum französischen Konsul ernannt, im osmanischen Algier und ab 1798 in Smyrna (heute Izmir). Nach dem Angriff Napoleons auf das damals osmanische Ägypten wurde er in Izmir als Feind verhaftet und in eine dreijährige Internierungshaft am Schwarzen Meer (Kerasunt/Giresun) geschickt. 1801 durfte er aber nach einer Intervention des Zaren nach Paris zurückkehren und wurde nun auch vom neuen französischen Machthaber General Napoleon in seine Dienste genommen.

Mit Wirkung vom 1. Dezember 1801 ernannte Napoleons Bonaparte ihn zum Generalkommissar der vier Départements am linken Rheinufer sowie zum Präfekten des Départements du Mont-Tonnerre. Ihm traute der Erste Konsul zu, in den linksrheinischen Gebieten die französische Herrschaft zu festigen und die Bewohner zu Franzosen zu machen. (Mendelssohn, S. 53) Jeanbons Amtssitz war der Erthaler Hof (in der Schillerstraße, später Sitz der Provinzverwaltung Rheinhessens sowie Sitz der Landkreisverwaltung des Kreises Mainz-Bingen) ... Die Bevölkerung kam dem neu eingesetzten französischen Präfekten anfänglich mit Skepsis entgegen, hatte sie doch nicht nur in den vorangegangenen Revolutionskriegen durch französische Truppen viel Leid und Belastungen ertragen müssen, sondern seit der französischen Besetzung auch immer wieder mit unfähigen französischen Verwaltungsbeamten zu tun gehabt, die nur ihren eigenen Vorteil im Auge hatten. Zwar wurden auch in der Folgezeit die hohen Steuerlasten, die militärische Konskription, die Zensur und die strengen Reglementierungen in vielen Bereichen als besonders bedrückend empfunden, jedoch erwies sich der neue Präfekt als gebildet, kompetent und integer. (Mendelssohn, S. 53/54)

Er bemühte sich auch, das Mainzer Wirtschaftsleben und das kulturelle Leben wieder in Gang zu bringen, die beide durch das Ende des erzbischöflichen Kurstaates stark gelitten hatten. So legte er auf der Höhe des Schlosses einen Freihafen mit Lagerhallen an, gründete 1802 die Mainzer Handelskammer und sorgte für die Ansiedlung von Industriebetrieben, auch einer Bekleidungsfabrik. Auf seine Gründungen gehen das heutige Landesmuseum und die Stadtbibliothek zurück.

Von 1808 bis 1811 war er Vorsitzender ("Meister vom Stuhl") der Mainzer Freimaurerloge, die 1803 unter dem Namen "Les amis réunis" (die vereinten Freunde) als französische Loge gegründet worden war.

1810 ersteigerte der Präfekt den oberhalb von Elsheim gelegenen Windhäuser Hof aus Greiffenclauer Besitz, einen doppelten Bauernhof, wahrscheinlich als Kapitalanlage, denn weder konnte er ihn von Mainz aus benutzen, noch eignete er sich damals als "Sommersitz".

Allerdings musste für Jeanbon, obwohl er durchaus Interesse und Verständnis für die Belange der Bevölkerung hatte, doch das Wohl des Staates, dessen Ziele vorrangig vom militärischen Ehrgeiz Napoleons geleitet wurden, im Vordergrund stehen. Die Staatskassen mussten gefüllt werden, und der Bedarf an Soldaten war hoch. Der Präfekt galt als persönlich bescheiden, sein Amtszimmer soll schlicht möbliert, seine Kleidung sehr einfach gewesen sein. Im Hinblick auf seinen Lebensstil war er sich treu geblieben. Auch das brachte ihm sicherlich Sympathie bei der Bevölkerung ein. Außerdem war er für seine effiziente Arbeitsleidenschaft bekannt. Eingaben und Anfragen der Bürger wurden umgehend bearbeitet. Täglich verfasste er unzählige Briefe mit Stellungnahmen und Befehlen an die untergeordneten Stellen. Gleichzeitig hielt er engen Kontakt zur Pariser Zentrale, die er über die Situation im Departement unterrichtete. Jeanbons Wunsch war die schnelle Integration der linksrheinischen Bevölkerung in den französischen Staat. An der Kultur der neu hinzugewonnenen Gebiete war er interessiert, und auch die Förderung der Wissenschaften lag ihm am Herzen. So fungierte er zum Beispiel als Präsident der damals gegründeten Société des sciences et des arts (Gesellschaft der Wissenschaften und der Künste)...

Die Gesellschaft der Wissenschaften und der Künste befasset sich unter anderem mit den Ausgrabungen der keltischen Anlagen am Donnersberg und der Wahrung des Andenkens an Johannes Gutenberg, den die Franzosen gern als Elsässer ansahen. Auch wenn hier die Erforschung und Erhaltung kultureller Zeugnisse der Vergangenheit zur Zielsetzung gemacht wurden, so stellte dagegen für Jeanbon der Abriss des Mainzer Doms nach dessen starker Beschädigung von 1793 kein Tabu dar. Sein Wiederaufbau ist letztlich der Intervention des damaligen Mainzer Bischofs Joseph Ludwig Colmar zu verdanken, der sich bei Napoleon für den Erhalt des Mainzer und ebenso des Speyerer Doms einsetzte.

Jeanbon verfolgte in seinem Departement von Anfang an ehrgeizige Ziele, von denen wir aus zwei zeitgenössischen Berichten erfahren, die Gerda Kirmse zitiert: ' ... Jeanbon St. Andre faßte beim Antritte dieses Postens hauptsächlich zwey große Gedanken, die er ... ehrenvoll ausgeführt hat. Die Ausrottung der Räuber, und die Anlegung einer großen Straße von Maynz bis Coblentz. ... Denn kaum waren seit seiner Einsetzung zwei Monate verstrichen, als man ihn zu gleicher Zeit zwei Unternehmungen beginnen sah, die für den Handel auf dem linken Rheinufer von höchster Wichtigkeit waren ... , die Eröffnung einer Rheinstraße zwischen Bingen und Koblenz, und die Gründung der Freihäfen zu Mainz und Köln.' (Mendelssohn, S. 53-56)


Seine Aktivitäten als Präfekt, soweit sie Ingelheim betrafen

1. Durch die Enteignung der Kirche und vieler Adelsgüter war ungefähr ein Drittel des linksrheinischen Grundbesitzes an den französischen Staat gefallen, der die Güter versteigern ließ, weil Napoleon für seine Kriege enorme Geldsummen braucht. Ziel bei den Versteigerungen, die 1803 unter der Verantwortung des Präfekten begannen, war es aber auch, dass durch Stückelung von großen Grundstücken neues Eigentum für Bauern geschaffen werden sollte. In Ingelheim waren von diesen Vorgängen die Jesuitenmission am Belzer und Besitzungen Ingelheimer Adliger betroffen, die vielfach von ansässigen Bauernfamilien, aber auch von bürgerlichen Spekulanten gekauft wurden und zwar:

- Hofgut Westerhaus
- Sporkenheim
- die Griesmühle
- Adelshöfe in Ober-Ingelheim

2. Da sich der Präfekt gute Kenntnisse in der Landwirtschaft angeeignet hatte, setzte er sich in seinem Département wiederholt in Rundschreiben an die Bürgermeister für bessere Anbau- und Verarbeitungsmethoden ein. In diesen Bereich gehört auch die Anordnung Napoleons, in der ehemaligen Propstei bei (Sauer-) Schwabenheim eine „Kaiserliche Zuckerfabrik“ einzurichten, was Jeanbon de St. André 1812 in die Tat umsetzte.

3. Der Ausbau der Straße von Mainz über Finthen und Ingelheim nach Bingen, der "Route Charlemagne“, der sich über einige Jahre hinzog. An ihn erinnert das Straßenbaudenkmal gegenüber dem ehemaligen Hotel Multatuli (Napoleonstein).

4. 1813 drängte er die Gemeinde Ober-Ingelheim, ihren Gemeindebesitz (Allmende, landwirtschaftlich genutzte ehemalige Wehrgräben und die Tore) zu verkaufen, wobei die Privatisierungserlöse in die französische Gemeinde-Entschuldungskasse fließen sollten, deren Einnahmen der französische Staat brauchte (Kriege Napoleons). Die Widersprüche der Gemeinde (StA Ing, Rep. I-3813-7) wies er z. T. zurück. Die z. T. bewohnten Tore sollten außerdem zur Verkehrserleichterung abgerissen werden, was aber durch die Niederlagen Napoleons und Jeanbons Tod zuerst einmal nicht durchgeführt wurde.

Im Jahre 1809 wurde er von Napoleon in Anerkennung seiner Verdienste zum Baron geadelt und nannte sich von da an Jeanbon de St. André, ein bemerkenswerter Wandel seines Namens, ausgehend von seinem eigentlichen TaufnahmenAndré Jeanbon.
 

Als die geschlagenen Truppen Napoleons nach den Niederlagen bei Leipzig und Hanau über den Rhein flüchteten und in der Festung Mainz Schutz suchten, brachten sie auch den Typhus mit. An dieser Seuche starben Tausende von Soldaten und von Mainzern und am 10. Dezember 1813 auch der Präfekt, der sich bei der Organisation der Pflege der Erkrankten nicht schonte, etwa indem er auf den Wundhäuser Hof ausgewichen wäre.

Zu seinem ehrenvollen Gedenken wurde auf dem von ihm neu angelegten Friedhof ein Grabmal geschaffen, dessen Text der Mainzer Professor und Bibliothekar Friedrich Lehne, ein Freimaurer wie Jeanbon, verfasste. Der Mainzer Stadtrat beschloss am 11. März 1816, also noch in der Übergangszeit, bevor Rheinhessen dem Großherzogtum zugewiesen wurde, dieses Grab zu einem Mainzer Ehrengrab zu erheben, das auf immer lastenfrei bleiben sollte. Und so besteht es bis heute.


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Gs, erstmals: 09.08.11; Stand: 22.03.21