Autor: Hartmut Geißler
1. Im Jahre 774 nur kurz, zusammen mit seiner dritten Gemahlin Hildegard, auf dem Rückweg aus Italien von der Eroberung des Langobardenreiches und einem Besuch in Rom und Ravenna, über das Kloster Lorsch und Worms.
Von hier aus setzte er vier „Scharen“ (bewaffnete Gruppen) gegen die Sachsen in Marsch (nach Fritzlar, das zuvor von "Sachsen" überfallen und geplündert worden war?). Der latinisierte germanische Begriff scara für Schar, Abteilung wird von den Annales r. Fr. bis 785 häufig verwendet, danach nicht mehr. Während Karl selbst weiter nach Düren reiste (mehrere Urkunden), könnten die "Scharen" ohne ihn mainaufwärts durch die Wetterau nach Mittelhessen gezogen sein. Drei von ihnen gerieten in Kämpfe, die vierte kehrte kampflos, aber mit großer Beute zurück (Annales regni Francorum, MGH SS rer. Germ. 6, S. 40).
In diesem Jahr 774, unter den Eindrücken des längeren Aufenthaltes in Italien, könnte der Entschluss zum Bau einer repräsentativen Palastanlage in Ingelheim gefallen sein, die ihn mit den vielen Bauzitaten aus Italien auch als "König der Römer" (noch nicht als "Kaiser"!) ausweist. Ingelheim wird hierbei noch "locus" (Ort) genannt.
2. Dreizehn Jahre später feierte er Weihnachten 787 und Ostern 788 in Ingelheim, und zwar in der Remigiuskirche, obwohl Papst Hadrian ihn zur Feier des Osterfestes nach Rom eingeladen hatte. Der Dom in Mainz war noch nicht gebaut und auch die dreischiffige Basiika des Reichsklosters St. Alban bei Mainz, die Karl errichten ließ, wurde erst 805 fertig. Karl entschied sich für den einmalig langen Aufenthalt in Ingelheim, ohne dass wir die Gründe dafür kennen. Beide Feste wurden normalerweise am selben Ort gefeiert (Brühl S. 40). In den Berichten darüber wird der Ort zweimal "villa" genannt. Unbekannt ist, in welchen Gebäuden Karl mit seiner Familie und seinen Begleitern wohnte und ob er sich in dieser Zeit ununterbrochen hier aufhielt, denn über seine Aktivitäten hier wird fast nichts überliefert, nur eine Urkunde Karls ist aus dieser Zeit bekannt, für das Kloster Farfa in Italien, die am 28. März 788 in Ingelheim ("actum Inghilinhaim villa nostra") ausgefertigt worden sein soll (früheste erhaltene Abschrift allerdings erst aus dem 11. Jh.). Ob damals neue Gebäude des Palatiums als Ort für Regierungshandlungen schon benutzbar waren, ist unklar.
Im Juni 788 (Zeitpunkt vermutet) fand hier ein dramatisches Ereignis statt, als Herzog Tassilo III. von Bayern, ein Vetter Karls, in einer Art politischen Schauprozesses wegen angeblicher mehrfacher Untreue als Herzog abgesetzt und zu lebenslangem Klosteraufenthalt verurteilt wurde.
Vielfach wird angenommen, dass die Ingelheimer Aula regia als Ort für eine große Gerichtssitzung schon benutzbar war. Man würde sich hier einen Vermerk der Annales r. F. wünschen, wie er zur Überwinterung Ludwigs in Frankfurt 822/23 in Frankfurt eingefügt ist. Karls Sohn hatte nämlich angeordnet, dass dort zum Überwintern geeignete Neubauten zu errichten seien. Ein solcher Vermerk für Ingelheim fehlt aber. Vorstellbar ist deshalb auch, dass diese Ereignisse entweder im Freien oder noch in den alten Gebäuden des Königshofes bei der Remigiuskirche stattfanden und dass erst danach der Entschluss zum Bau von neuen und repräsentativeren Palastbauten gefasst wurde.
Weihnachten 788 und Ostern 789 feierte Karl in Aachen.
Danach wechseln seine Winterquartiere mehrfach:
789/790 in Worms,
791/792 in Regensburg,
793 in Würzburg
ab 794 regelmäßig in Aachen
Die Ursachen seiner Abwendung von Ingelheim sind unbekannt (Bauarbeiten? Tod Fastradas?).
Eine Gesandtschaft aus Konstantinopel, die wohl die Lage nach Karls Kaiserkrönung klären sollte, wurde zu Beginn des Jahres 802 nicht etwa in Ingelheim empfangen, wie es später Ludwig der Fromme wiederholt machte, sondern wahrscheinlich in Aachen. Eine zweite byzantinische Gesandtschaft empfing Karl im Sommer 803 in der Jagd-Pfalz Salz an der fränkischen Saale. Die Friedensvertragsverhandlungen wegen Venezien fanden 810-812 in Aachen statt, ebenso wie ihr Abschluss unter Ludwig dem Frommen.
3. Ein drittes Mal (791) wird ein Aufenthalt von ihm in "Ingelheim?" aufgrund einer kurzen Bemerkung in der Lebensbeschreibung seines Sohnes Ludwig angenommen (Astronomus, Vita Hludovici cap. 6), bleibt aber in anderen Chroniken unerwähnt ("patri Hludovicus Engelheim occurrit, inde Hrenesburg cum eo abiit" - Ludwig traf sich mit dem Vater in/nach/bei Ingelheim (?), von dort/danach ging er mit ihm nach Regensburg).
In den Annales Regni Francorum wird für diese Zeit nur festgehalten, dass Karl von Worms nach Regensburg zog, zu einem Feldzug gegen die Awaren, wohin ihn sein Sohn begleitete. Wenn man berücksichtigt, dass der junge Ludwig (13 Jahre) schon zehn Jahre lang als Unterkönig in Aquitanien eingesetzt war, dann könnte er (bzw. seine Berater und Vormünder) von dort Heerscharen für den Awarenfeldzug an den Rhein geführt haben, die aber vielleicht aus logistischen Gründen nicht auch noch nach Worms kommen sollten, sondern nach Ingelheim gelenkt wurden, das sich als Truppenquartier sehr gut eignete. Diese Heeresgruppe könnte auf einer eigenen Route den Main aufwärts in Richtung Regensburg gezogen sein, um sich dort mit dem Hauptkontingent zu vereinigen. Auch bei anderen Feldzügen ließ Karl die verschiedenen Heeresgruppen auf unterschiedlichen Wegen zum Ziel ziehen.
Das Zusammentreffen von Vater und Sohn in Ingelheim hatte dementsprechend keinen privaten Charakter, sondern Karl wollte sich möglicherweise selbst von der Qualität dieser Truppen überzeugen und das Vorgehen eines getrennten Marsches besprechen. Dass dieses nebensächliche Ereignis in anderen Chroniken keinen Niederschlag fand, wäre dann nicht besonders verwunderlich. So gesehen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Karl der Große 791 tatsächlich einmal kurz zu einer Heerschau und zu taktischen Anweisungen in Ingelheim war.
Im Jahre 795 begann Karl einen weiteren Feldzug gegen die Sachsen nach einer Versammlung ("placitum") in Kostheim gegenüber von Mainz - warum nicht von Ingelheim aus? (Annales regni Francorum zu 795). In Kostheim ist er auch schon 790 mit zwei Urkundenausstellungen nachweisbar.
4. Im Jahr 807 soll Kaiser Karl ("Karolus imperator") ein letztes (viertes) Mal in Ingelheim gewesen sein, nach einem fragwürdigen Vermerk der Chronik von Moissac/Südfrankreich, die aber nur in einer einzigen Handschrift aus dem 11. Jh. erhalten ist. Die anderen Chroniken berichten zwar ausführlich über Karls damalige Regierungstätigkeit in Aachen, jedoch nichts über einen (gewiss strapaziösen) Ritt nach Ingelheim.
"Kaiser Karl" soll nach dieser Chronik nach Ingelheim gezogen sein und hier "seine" Versammlung von Bischöfen, Grafen und anderen Getreuen "ad Ingelaeim palatio" abgehalten haben; "palatio" wird hier synonym für die villa/curtis verwendet. Wieso aber "seine" Versammlung? Es heißt dann, dass er den Vasallen aufgetragen habe, Gerechtigkeit in dessen/seinem ("eius") Reich zu üben. Danach habe er ihnen die Erlaubnis gegeben, in ihre Besitzungen zurück zu ziehen und dort ruhig zu bleiben, und ihnen aufgetragen, dass sie Gott danken sollten für den Frieden und ihre Eintracht. Es folgt noch der Satz: "Und dieses Jahr blieb ohne Krieg."
Ich verstehe den Sinnzusammenhang so, dass die routinemäßig zum jährlichen Feldzug hier versammelten Vasallen dieses Jahr ausnahmsweise keinen Kriegszug gegen die Slawen unternehmen mussten/durften und deshalb nach Hause geschickt wurden.
Die Jahreseinträge davor und danach beginnen in dieser Chronik alle mit "Karolus imperator", es wird darin aber immer wieder auch sein vielfach mit Feldzügen beauftragter Sohn Karl als "Karolus rex" erwähnt. Eine Verwechslung des Vaters mit dem gleichnamigen Sohn für das Jahr 807 in dieser Chronik-Abschrift erscheint deshalb möglich, weil dadurch das Wort "seine" - auf den Sohn Karl bezogen - erst einen Sinn bekäme.
Dazu passt auch, dass der Poeta Saxo ausdrücklich betont, dass Karl nach 806 keine eigenen Kriegszüge mehr unternommen habe. Karl der jüngere war nach Weinfurter (S. 171 ff.) möglicherweise homophil, was erklären könnte, dass die Annales regni Francorum so spärlich über ihn berichten. Die Annales Mettenses posteriores verwenden zur Bezeichnung der handelnden Personen dieser Jahre für Karl den Großen normalerweise Rex, aber abweichend davon für ihr letztes Jahr 805 den Titel Imperator, weil in diesem Jahr eine Unterscheidung von seinem gleichnamigen Sohn Karolus Rex nötig war. Das Problem der Verwechslungsmöglichkeit war natürlich bekannt.
Eine Urkunde im Namen Karls vom 7. August 807 über einen Besitztausch des Würzburger Bischofs, die im Original erhalten ist (Kopie im Museum bei der Kaiserpfalz), wird mit dieser Versammlung in Verbindung gebracht. Als Ort der Verhandlung dieser Angelegenheit wird unter "actum" das "palatium" von "Inghilinhaim" angegeben. "Actum palatio" (nostro oder regio) ist die übliche Ortsangabe in der Schlussformel karolingischer Urkunden (Eschatokoll). Diese Zeile ist (nachträglich?) mit blasserer Tinte geschrieben. Das meist vorhandene Königsmönogramm, eine Art Ratifizierungsunterschrift des Königs, fehlt. Als Schreiber wird einmalig ein Aldricus in Vertretung von Ercanbald (Grab in der Mainzer Johanneskirche!), dem bekannten Leiter des karolingischen Scriptoriums, genannt.
Stützt diese Urkunde die Glaubwürdigkeit eines Aufenthaltes Kaiser Karls in Ingelheim in diesem Jahr? Zur Praxis der karolingischen Urkundenausstellung mit und ohne Anwesenheit des Königs siehe McKitterick S. 173 ff. und Zotz in Staab, S. 81-91. Ein eindeutiger Beweis für eine Anwesenheit des Vaters, des Kaisers Karl, ist diese Urkunde jedenfalls nicht. "Data" und "actum" können auch hier auseinanderfallen (siehe Itinerar).
Karl der Große war also drei oder höchstens vier Mal in Ingelheim; seine "Lieblingspfalz", wie man manchmal lesen kann, war der Ort deshalb sicherlich nicht. Bedeutsam jedoch ist es, dass er den Befehl gab, hier ein prächtiges Palatium zu bauen, dessen Vollendung er nicht mehr erlebte.
Gs, erstmals: 10.10.15; Stand: 08.06.22