Autor: Hartmut Geißler
Zu weiteren Inflationsgutscheinen, deren Abbildungen uns von Frau Helga Koppmann, Waldalgesheim, und Boehringer Ingelheim freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurden, s. u.!
Die Inflation der Verbraucherpreise begann schon während des Krieges. Dies zeigt z.B. eine Zeitungsnotiz vom 16.11.1915, wonach die Schuhpreise gewaltig in die Höhe geschnellt seien: Der Preis für Sohlenleder, der vor dem Krieg noch 1,80 - 2,00 Mark betragen habe, liege nun bei 5 - 6 Mark (Chronik, S. 82).
Gegen zu hohe Preise bei Lebensmitteln wurden deshalb schon 1915 Brot- und Fleischkarten ausgegeben, mit denen die gekauften Mengen kontingentiert werden sollten.
Im Vierten Kriegsjahr waren die Preise "für Damen- und Herrenbekleidung auf eine Höhe gestiegen, die der minderbemittelten Bevölkerung Neuanschaffungen sehr schwer machen. Für diese Kreise wurden "Reichsanzüge" angekündigt, die über die Kommunen von der Reichsbekleidungsstelle ausgegeben werden sollen." (Chronik, S. 88, zum 7. Februar 1918)
Nach Kriegsende setzte sich diese inflationäre Tendenz weiter fort, denn nun versuchten Reich, Länder und Kommunen ihre kriegsbedingten Schuldendurch eine politisch gewollte Inflation abzubauen. So bezahlten die deutschen Sparer im nachhinein die Kosten des vierjährigen Krieges.
Am 17. Februar 1919 hieß es in der Ingelheimer Zeitung: "Die Stahlwaren weisen seit Oktober einen Preisaufschlag von 250 Prozent auf, die Preise der Porzellanfabrikate sind seit Dezember um 33 Prozent gestiegen..." (Chronik, S. 93)
Auch die Grundnahrungsmittel wie Brot und Milch verteuerten sich ständig weiter, obwohl die Gemeinden den Brotpreis durch den Kommunalverband Mainz zu reglementieren suchten. Wegen der steigenden Preise wurde es auch nötig, dass die Gemeindebediensteten eine Teuerungszulage gezahlt bekamen:
"4. September 1919 - N.-I. Die Gemeindebeamten und Bediensteten erhalten vom 1. April des Jahres an eine Teuerungszulage von 2000 Mark" (jährlich). (Chronik, S. 95)
Im September 1921 stiegen die Lebenshaltungskosten um 16 Prozent gegenüber dem Vormonat (August) und um 36,3 Prozent gegenüber September 1920 (Chronik, S. 101).
Brotpreise:
- Im August 1922 kostete ein Laib Brot zu 1750 Gramm 30 Mark (Chronik, S. 102),
- im Oktober 1922 98 Mark (Chronik, S. 103),
- im Februar 1923 1.600 Mark, das Spitzweck 75 Mark, ein Wasserweck 150 Mark, ein Weißbrot 750 Mark (Chronik, S. 104)
- und im Juni 1923 ein Laib Brot zu 1800 Gramm 2.400 Mark (Chronik, S. 106).
Auch die Löhne versuchten mit zu steigen:
"7. Dezember 1922: Der durchschnittliche Jahresarbeitsverdienst land- und forstwirtschaftlicher Arbeiter für den Kreis Bingen wird auf 96.000 Mark für männl. Versicherte über 21 Jahre festgesetzt, 69.000 Mark für weibliche Arbeiter, von 16-21 Jahren 78.000 und 54.000 Mark, unter 16 Jahren 48.000 und 36.000 Mark. In Ingelheim beträgt der Taglohn 360 Mark für männliche und 270 für weibliche Arbeiter über 21 Jahre." (Chronik, S. 103)
Das Schulgeld der höheren Bürgerschule betrug Anfang Mai 1923 2.500 Mark pro Monat und für Lateinunterricht 2000 Mark zusätzlich. (Chronik, S. 105)
Weil die Reichsbankdruckereien mit dem immer schneller wachsenden Bedarf an Geldscheinen, die auf immer höhere Beträge lauteten, nicht mehr Schritt halten konnten, mussten vielerorts als Ersatz Gutscheine oder "Notgeld" ausgegeben werden, das bestimmte Banken in Zahlung nahmen und dessen Verfall durch die örtliche Presse aufgerufen wurde.
Für die Ingelheimer wurde solches Notgeld vom Kreis Bingen, aber auch von Industriebetrieben ausgegeben, die anders ihre Mitarbeiter nicht mehr entlohnen konnten, denn den Lohn bekam man damals noch bar.
Es folgen unten
- Notgeld des Kreises Bingen, auch durch die Separatisten ausgegeben
- Notgeld der Firma Boehringer
- Notgeld der Nieder-Ingelheimer Konservenfabrik, der später sogenannten "Kathra" im Kannengießer.
Diese Gutscheine wurden von bestimmten darauf genannten Banken in Zahlung genommen. Das "Schorngeld" der Separatisten (benannt nach dem Binger Polizeichef Schorn der Separatistenzeit, ab November 1923) wurde, weil inflationär ausgegeben, nur ungern von den Geschäften in Zahlung genommen.
Man beachte auf dem Boehringer-Gutschein das alte Boehringer-Logo links am Rand, für das ein altes Modell der Kaiserpfalz Pate stand, das aus Sebastian Münsters älterer Abbildung des Saales entwickelt wurde!
Die Ingelheimer Zeitung musste ihre Leser sogar bitten, wenn kein Bargeld vorhanden sei, mit Naturalien zu zahlen (Chronik, S. 106, zum 20. September 1923).
Erst die Umstellung auf die "Rentenmark" im Oktober 1923 beendete die Inflation und schuf eine neue stabile Währung, die später in Reichsmark umbenannt wurde.
Die politischen Kosten dieser in der deutschen Geschichte so noch nie vorgekommenen gigantischen Inflation waren allerdings sehr bedenklich: Viele Bürger, deren Ersparnisse völlig wertlos geworden waren, wandten sich von der jungen Demokratie, dem "System von Weimar", ab und bei der nächsten Wirtschaftskrise sieben Jahre später den Radikalen zu.