* 8.6.1788 Warmsroth (Verbandsgemeinde Stromberg)
† 6.5.1865 Ober-Ingelheim
Autorin: Margarete Köhler (2000),
überarbeitet von Hartmut Geißler unter Mithilfe von Barbara Timm (zuletzt 2024)
Geschichte des Vereins Haus Burggarten e.V., vormals Casino-Gesellschaft Ober-Ingelheim [1988]
Thomas, Rainer: Der Verein Haus Burggarten. In: Heimatjahrbuch MZ-BIN, 2012, S. 313 ff.
Mendelssohn, Dr. Martin Mohr. In: Ingelheim am Rhein 2019, S. 164-165
Nachrichten zu seinem Leben finden sich außerdem im Deutschkatholischen Sonntagsblatt Nr. 1, 15. Jg., 21.05.1865, abgedruckt bei Weyell.
Im Ingelheimer Stadtarchiv befinden sich die Sterbeurkunden von ihm und seiner Verwandtschaft und die Besitzverhältnisse im Brandkataster.
Der in einem kleinbäuerlichen Elternhaus in Warmsroth (Verbandsgemeinde Stromberg) aufgewachsene Martin Mohr erhielt eine Ausbildung als Notariatsschreiber, denn sein Vater war neben seiner Tätigkeit als Landwirt auch Gerichtsschreiber des Ortsgerichtes. Nachdem er diesen Beruf sieben Jahre lang ausgeübt hatte, wurde er Greffier (Gerichtsschreiber) am Friedensgericht Stromberg. Anschließend wurde er Gehilfe bei Notaren in Bacharach und Wöllstein, wo er sich mit Katasterarbeiten befasste. Schon in seiner Jugend las er sehr viel, sogar während er das Vieh der Familie hütete (Burger S. 38).
Seit 1797 gehörte seine Heimat (Hunsrück auf dem linken Rheinufer) wie auch Ingelheim zu Frankreich. Ins wehrfähige Alter gelangt, wurde er deswegen zweimal in das napoleonische Militär einberufen. Beim ersten Mal konnte er noch einen bezahlten Ersatzmann stellen, beim zweiten Mal aber, 1808, musste er zum Militär und diente zuerst als Carabinier à cheval beim Feldzug 1809 in Österreich, danach in der Infanterie, wo er zu schriftlichen und strategischen Arbeiten verwendet wurde, und erwarb schließlich das Offizierspatent. Beim Feldzug Napoleons nach Russland 1812 geriet er in Gefangenschaft, konnte sich aber als Hauslehrer betätigen. Bei einem Gefangenentausch wurde er freigelassen. Als Napoleon noch einmal von der Insel Elba nach Frankreich zurückkam, trat er erneut in seine Dienste.
Nach dem Ende der napoleonischen Zeit konnte er - etwa sechsundzwanzigjährig - noch ein Studium der Rechte aufnehmen, in Straßburg, Heidelberg und Gießen; Burger fragte sich, ob er vielleicht einen Gönner gefunden hatte, der seine Anlagen erkannt hatte und ihm das Studium bezahlte. War es sein späterer Schwiegervater, der Justizamtmann Theodor Mayer aus Schotten, der später das Anwesen in Ober-Ingelheim kaufte, in dem Mohr wohnte?
Nach dem Staatsexamen und einer Promotion trat Mohr in den hessischen Justizdienst ein und wurde Friedensrichter in Nieder-Olm. Es spricht für seine berufliche Qualifikation, dass er einen schnellen Aufstieg nahm: Staatsprocurator Substitut (stellvertretender Staatsanwalt), Richter, Fiskalanwalt (Anwalt für Steuerrecht) und schon mit 41 Jahren Vizepräsident des Kreisgerichtes in Mainz.
Für einen überzeugten Verfechter der Ideale "Freiheit, Gleichheit und Volkssouveränität" und der aus der Franzosenzeit übernommenen "rheinischen Institutionen" war der Konflikt jedoch unvermeidlich, als die hessische Regierung einen restaurativen Kurs einzuschlagen begann. Seine Verfassungstreue gereichte Dr. Mohr auch bald zum Verhängnis. Bereits 1833 versetzte ihn sein Dienstherr in den Ruhestand (mit vollen Bezügen!), weil er nicht hinnehmen wollte, dass Mohr Verordnungen des Ministers du Thil für ungültig erklärt hatte, weil er sie nicht verfassungsgemäß dem Landtag vorgelegt hatte.
Mohr nahm Ober-Ingelheim als Wohnsitz, wohin auch seine Schwiegereltern (Theodor und Caroline Mayer) aus Schotten gezogen waren, die durch mehrfache Grundstücksgeschäfte nachweisbar sind. Deren Tochter Mathilde Mayer, geb. ca. 1803 in Schotten, hatte Mohr im selben Jahr 1833 geheiratet. Die Ehe blieb kinderlos. Ein Portrait von ihr aus dem Jahre 1827, gemalt von dem Darmstädter Maler Gotthelf Leberecht Glaeser, existiert in der Sammlung Sander, Darmstadt.
Das Ehepaar Mohr wohnte in der Stiegelgasse 48, einem Anwesen mit jahrhundertelanger Adelstradition, zuletzt im Besitz der Horneck von Weinheim, das Mohrs Schwiegervater gekauft hatte.
Seit 1832 gehörte Mohr der 2. Kammer des hessischen Landtages an, 1850 auch kurzzeitig als Präsident. Von 1862-1865 war er Abgeordneter der Deutschen Fortschrittspartei.
Wie aus der Chronik der Ober-Ingelheimer Casino-Gesellschaft (später Verein Haus Burggarten e. V.) zu erfahren ist, war eine Herrenrunde, der Dr. Mohr angehörte, schon einige Jahre lang (vielleicht sogar schon seit der napoleonischen Zeit?) regelmäßig in den Wintermonaten zum Gedankenaustausch zusammengetroffen, als man sich 1846 entschloss, Statuten für diese Gesellschaft zu entwerfen.
Die Gesellschaft traf sich viele Jahre lang in gemieteten Räumen:
- zunächst in einem leerstehenden Haus am Neuweg
- um 1848 in der Rinderbach(straße) und in der Stiegelgasse
- In den 1850-er Jahren stellte Dr. Martin Mohr der Gesellschaft ein Gartengrundstück zum Kegeln zur Verfügung, das er in der Rinderbachstraße 10 besaß.
- Am 1. Oktober 1865 mietete man als Vereinslokal Räumlichkeiten im Eckhaus Döhn an der Ecke Rinderbach/Marktplatz und blieb dort 16 Jahre.
"Nach vielen ergebnislosen Verhandlungen beschloss die Generalversammlung am 11. Juni 1881 mit 28:6 Stimmen, das ehemals Klein'sche Haus und den dazugehörigen Garten, also das heutige Haus Burggarten, für 13.000 Mark von David Levi aus Kirchheimbolanden zu erwerben. Die Grundstücksgröße betrug insgesamt etwa 6.500 Quadratmeter, einschließlich eines Teils der angrenzenden Stadtmauer." (Thomas, S. 316)
Unter dem ersten Vorstand, bestehend aus Dr. Mohr, Dr. med. Thudichum und Philipp August Gebhard, der ebenfalls in einem alten Adelsgut in der Stiegelgasse 65 wohnte. wurden diese von den Mitgliedern angenommen und ordnungsgemäß durch das Großherzogliche Kreisamt in Bingen genehmigt. Weil die Gesellschaft verdächtig war, revolutionäre Elemente in sich zu beherbergen, war eine Mitgliedschaft für Beamte vorübergehend nicht opportun. So kam es, dass in den Jahren 1848/49 nur der "harte Kern" erhalten blieb, weil es zu einem politisch bedingten Mitgliederschwund gekommen war.
Dr. Martin Mohr war als Landtagsabgeordneter und erklärter Verfechter der Republik in die Wahlvorbereitungen für die Nationalversammlung eingebunden. Als Kandidat für das Paulskirchen-Parlament trat er kompromisslos für die Errichtung einer Republik auf friedlichem Wege ein.
Er arbeitete in der Demokratischen Partei Rheinhessens mit, die damals extrem links stand, und wurde Mitglied von deren Zentralkomitee. Dieses entsandte ihn in das Vorparlament nach Frankfurt. In der dortigen Nationalversammlung war Dr. Mohr Abgeordneter des Wahlkreises Worms. Er schloss sich der links-liberal orientierten "Donnersberg-Fraktion" an, die nach dem ehemals französischen Departement Mont Tonnerre, Donnersberg, genannt wurde. Nach dem Scheitern der Nationalversammlung in Frankfurt übersiedelte er mit dem Rumpfparlament nach Stuttgart und kehrte erst nach dessen Zersprengung in die Heimat zurück.
Zur Ingelheimer Beteiligung an der Revolution 1848/49
Am 18. Dezember 1849 wurde er unter Missachtung seiner parlamentarischen Immunität verhaftet und des Hoch- und Landesverrats beschuldigt. Sein Prozess in Mainz endete gegen das Votum der Richter mit einem Freispruch durch das Geschworenengericht, das es seit der französischen Zeit gab, so dass er 1850 seine Tätigkeit als Mitglied des hessischen Landtags wieder aufnehmen konnte, der im Dauerkonflikt mit der großherzoglichen Regierung stand.
Unter seinem Portrait als politischer Gefangener hat er eigenhändig geschrieben:
Die auf Freiheit, Gleichheit und Bruderliebe gestützte sociale demokratische Republik sichert allein Jedem ein seiner Menschenwürde entsprechendes Dasein. Dr. Mohr
Wegen des großen Ansehens und Vertrauens, das er bei den Abgeordneten genoss, wurde er bald darauf für kurze Zeit zum Landtagspräsidenten gewählt, woher seine Ingelheimer Bezeichnung "Präsident Mohr" kommt. Nach Beendigung seines Mandats konzentrierten sich seine Aktivitäten vorwiegend auf seinen Wohnort Ober-Ingelheim.
Hier war er maßgeblich an der Gründung einer liberalen freireligiösen Gemeinde beteiligt und überließ ihr ein Gebäude des Grundstückes in der Stiegelgasse als ersten Versammlungsraum. Er nahm als Mitglied des Ober-Ingelheimer Gemeinderates regen Anteil an der Kommunalpolitik und trug dazu bei, dass der Ingelheimer Wald nach einer Zeit der Verpachtung, die in Misswirtschaft geendet hatte, wieder in die Eigenregie der beiden Gemeinden Ober- und Nieder-Ingelheim übernommen wurde.
Mohrs Haus in der Stiegelgasse stand jederzeit offen für liberal-demokratisch gesinnte Freunde, mit denen er regen Gedankenaustausch pflegte. Dabei kam durchaus auch die Freude an unbeschwerter Geselligkeit zu ihrem Recht. In der Chronik der Casino-Gesellschaft lesen wir über die Fünfzigerjahre:
"Dem Bedürfnis nach Sommervergnügen wurde in dieser Zeit mehrere Jahre dadurch genügt, dass der pensionierte Kreisgerichts-Präsident Herr Dr. Martin Mohr in seinem Garten (...) eine ungedeckte Kegelbahn der Gesellschaft unentgeltlich zur Verfügung stellte."
Am 6. Mai 1865 verstarb Mohr und wurde unter Anteilnahme der Bevölkerung und seiner politischen Mitstreiter auf dem alten Kirchhof der Burgkirche bestattet, den die Deutschkatholiken mitbenutzen durften, "ohne besonderen Prunk" (Burger, S. 41). Zu seiner Bestattung sollen 5000 Personen gekommen sein (Weyell, S. 29).
Als im Juni 1925 der Landesparteitag der Demokratischen Partei Hessens in Ingelheim abgehalten wurde, wurde am ehemaligen Wohnhaus Mohrs eine Ehrentafel angebracht und an seinem Grabe wurden Kränze niedergelegt. (Ingelheimer Zeitung vom 29.06.1925)
Eine Straße und eine Schule, die seinen Namen tragen, sowie sein Grabdenkmal auf dem Ober-Ingelheimer Kirchhof (rechts) halten die Erinnerung an ihn wach. Es wurde aus Kleinspenden (max. zehn Kreuzer) der Bevölkerung finanziert, nicht nur aus Ober-Ingelheim, sondern aus insgesamt 30 deutschkatholischen Gemeinden Rheinhessens, und trägt die lapidare Inschrift: "Dem Freunde sein Volk".