1. Ein Hinkelstein in Ober-Ingelheim
Von Ernst Emmerling † (verfasst 1953)
"Es ist nun mehr als zwei Jahre her [also 1951], daß in diesen Spalten Herr Andreas Saalwächter aus Offenbach zwei derartige frühe Steindenkmäler behandelt hat. Das eine, in der Nieder-Ingelheimer Gemarkung am Rabenkopf, ist verschollen, das andere, auf der Höhe nach Mainz bei Schwabenheim, ist nur in einem kleinen Rest auf uns gekommen. Nun gesellt sich diesen merkwürdigen Monumenten ein drittes zu. Als vor einigen Wochen bei Straßenarbeiten die Böschung südlich der Ausfahrt vor dem Uffhubtor, gegenüber dem Bau der Stadtwerke, abgetragen wurde, fand sich dort ein merkwürdiger Stein, der zunächst durch seine Größe, dann aber auch durch seine Bearbeitung auffiel. Er wird hier nach einer Zeichnung des Verfassers abgebildet.
Bei einer ungefähren Breite von 1,20 m ist er in der Mitte etwa 1,45 m hoch und 0,60 m dick. Das Material ist gelblicher, weicher, einheimischer Kalkstein. In seine leicht gewellte Vorderfläche ist eine rechteckige Nische von etwa 40 : 28 cm Größe eingearbeitet. Sie schneidet zwei hohle Gänge an, die das schichtenförmig aufgebaute Gestein durchziehen, das wegen dieser seiner Struktur leicht in einzelne Platten zerfällt. Das ganze Denkmal ist an den Außenseiten stark abgesprungen und verwittert, läuft nach oben spitz zu und ist an der Rückseite rund abgearbeitet. Die untere Fläche ist in starker Schräge und ziemlich glatt abgebrochen. Es gibt kaum eine andere Deutung der Nische als die, daß sie einstmals ein Heiligenbild enthielt. Wenn aber der Stein als Bildstock diente, so muß man sich ihn um ein Stück von etwa anderthalb Meter in der Mitte und über dem Boden gemessen, verlängert vorstellen. Mit einer Gesamthöhe von nahezu drei Metern war es also ein Denkmal von ungewöhnlichen Ausmaßen.
Derartige Steine kennen wir in unserer Heimat in größerer Zahl. Ihre Deutung ist nicht ganz sicher. Aber wir müssen annehmen, daß sie kultischen Zwecken in steinzeitlichen Siedlungen dienten. Denn man fand verschiedentlich in ihrer Nähe Grabstätten und Handmühlen jener Epoche, „Napoleonshüte“, wie man sie nach ihrer Form genannt hat. Nur religiöse Antriebe, wie etwa Ahnenkult oder Seelenverehrung, können es bei der lockeren Gesellschaftsstruktur jener Frühperioden vor fünf- bis siebentausend Jahren zuwege gebracht haben, daß eine Gemeinschaft sich bereit fand, solche riesenhafte Monolithe zu transportieren. Das setzt außerdem die Kenntnis der Walze in jungsteinzeitlicher Epoche voraus. Aus ihrer Größe erklärt sich auch ihr Name Menhir oder Hinkelstein. Während die erste Bezeichnung dem keltischen Sprachschatz entnommen ist und auf die Größe hinweist, ist das bei der mißverstandenen deutschen Benennung weniger klar. Denn hier wurde Huhn in Hinkel umgedeutet, während doch der Wortstamm Hun oder Hüne, also Riese oder Recke, zugrunde liegt, der sich auch in dem verwandten Begriff des Hünengrabes findet. Es spricht auch für den kultischen Sinn dieser Steinmonumente in vorchristlicher Zeit, daß die Kirche sie oft für ihre Zwecke übernommen und in Bildstöcke umgewandelt hat, wofür als Beispiel der große Menhir an der Pariser Straße bei Wörrstadt genannt sei. Diese Verwendung hat dann vermutlich auch das weitere Geschick des Ingelheimer Hinkelsteins bestimmt. Als hier die Reformation eingeführt wurde, als der damit verbundene Bilder sturm einsetzte, hat man ihn wohl umgeworfen, vielleicht dabei zerbrochen und am Standort vergraben. Es kann nicht bezweifelt werden, daß wir hier das älteste Steindenkmal unserer Stadt vor uns haben, das unter allen Umständen erhalten werden muß. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine, die leichter zu verwirklichen ist, ist die, es auf einem passenden Sockel am Fundort wieder aufzustellen. Die andere wäre, es in die Steinhalle des Museums zu bringen, die eben im Raum des ehemaligen Reichssaales errichtet wird. Aber der umständliche Transport sollte dadurch vermieden werden, daß man den Ingelheimer Hinkelstein da wieder aufrichtet, wo er vermutlich Jahrtausende gestanden hat."
Veröffentlicht zuerst in der Allgemeine Zeitung (lZ) vom 24./25. Mai 1953 und erneut abgedruckt in BIG 17, Ingelheim 1967, S. 45/46.
Trotz mehrfacher Vorschläge des Historischen Vereins, den Hinkelstein an geeigneter Stelle auf- und damit auszustellen, wurde er schließlich unter dem Transformatorenhäuschen am Uffhubtor vergraben.
2. Ein Hinkelstein am Haxthäuser Hof
"Südlich von Wackernheim wurde Anfang Dezember 2003 auf dem Anwesen des Haxthäuser Hofes (Gemarkung Ingelheim-Mitte) bei Feldarbeiten ein Monolith, ein einzelner großer Stein gefunden. Der Finder, Wolfgang Orth, Pächter des Haxthäuser Hofes und ökologischer Landwirt, war beim Pflügen auf den Stein gestoßen. Da die Fundstelle auf dem Mainzer Berg in kalkhaltigem, leicht lehmigem Flugsand liegt, also in losem, durch den Wind transportierten und aufgewehten Sand, muss der bei der Bodenbearbeitung entdeckte Stein ortsfremd und damit absichtlich herangeschafft worden sein... Der Monolith aus Kalkstein, etwa 1,60 Meter hoch und leicht dreieckig geformt, die Spitze abgebrochen, lag ca. 0.40 Meter unter der Erdoberfläche und war jahrelang nicht bemerkt worden." Aus: Zylmann
Foto: Geißler
Gs, erstmals 04.08.05; Stand: 05.02.17