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Die Reste der Wehrmauer um den Ingelheimer Saal


Autor und Fotos: Hartmut Geißler


Von der Wehrmauer, die seit dem hohen Mittelalter das erweiterte Saalgebiet umschloss, sind noch erhebliche Reste erhalten und als archäologische Denkmäler restauriert worden, wobei die meisten Teile der heute sichtbaren Mauern wahrscheinlich erst aus dem 14./15 Jahrhundert stammen. Die Mauer hatte auf dem Höhepunkt ihrer Verteidigungsfähigkeit eine Höhe von 10,5 m und eine Länge von ca. 270 m, der Wehrgang war möglicherweise überdacht (1619 nicht) und über hölzerne Laufstege und Treppen erreichbar.

Im Spätmittelalter kam noch eine zweite Mauer hinzu, eine äußere, niedrigere Zwingermauer. Aber bei der Besichtigung des Kurpfälzers Laurentius Engelhart im Jahre 1619 war die Zwingermauer nur noch auf der Westseite erhalten, zwischen der Eingangsbrücke und der Nordwestecke. An die Zwingermauer und die eigentliche Wehrmauer waren mehrere (Halb-) Türme gebaut, von denen heute nur noch der Stumpf des Bolanderturmes erhalten ist.

Der Graben hatte eine Tiefe von ca. 5,5 Metern und eine Breite von ca. 12 Metern (1619 maß Laurentius Engelhart 15,50 m). Er war auf beiden Seiten von etwas Wasser durchflossen, das aber wegen des Gefälles (entgegen vielen bildlichen Darstellungen) nicht darin stand, sondern unten an der Rheinseite in einen aufgestauten Teich floss und aus diesem hinab zur Saalmühle.

Beeindruckend sind die nach einem Einsturz wieder aufgebauten Wehrmauerteile am "Bolander" (am Ende rechts), wenn man das Saalgebiet vom François-Lachenal-Platz her betritt.


Erhalten haben sich die meisten Mauerreste dadurch, dass sie nach dem Verfall der Burg als Außenmauern der auf bzw. an den Ruinen errichteten Bauern- oder (im 19. Jahrhundert) Tagelöhnerhäuser gedient haben.


Die kleinen an die Wehrmauer gebauten Häuser wurden im 18. und 19. Jahrhundert zuerst einstöckig errichtet, in einem zweiten Schritt oft mit Sanitäranlagen verbreitert, dann aufgestockt und schließlich wurde ihr Dachgeschoss ausgebaut.


Auf dem folgenden Foto sieht man links das "Heidesheimer Tor" von außen. Es war in karolingischer Zeit eine Pfeilerhalle im Zentrum des großen Halbkreisbaues mit einem doppelflügeligen Tor.

Rechts davon schließen sich Reste der Wehrmauer und daran gebaute Häuser an. Im Gelände des früheren Wehrgrabens davor befindet sich heute der schönste Abenteuerspielplatz von Ingelheim und der karolingische Kräutergarten.


Das ursprüngliche Tor des karolingischen Baues (in der dunkleren Mitte des hohen Baues links) ist nicht mehr sichtbar, da es im Zuge der Umwidmung in eine Wehrarchitektur zugemauert wurde. Der sichtbare Durchgang rechts daneben führte nur in den karolingischen Turm, in dessen Fundamenten die beiden Besucher stehen. Das linke der beiden sichtbaren Häuser dient seit 2007 u.a. als Standesamt, das rechte als Präsentationshaus für die späte, die "bürgerliche" Epoche der Nutzung der Pfalz (bis heute). Beide Häuser benutzen Teile der alten karolingischen Außenmauer bzw. der Wehrmauer als ihre Außenmauer. 

Zum Vergleich der Zustand dieses Geländes ca. 1910, damals noch bäuerlich genutzt:


An der südwestlichen Ecke der spätmittelalterlichen Wehrmauer gab es einen mächtigen Turm, von dem nur noch der dicke Stumpf erhalten ist. Es ist der sogenannte "Bolander", benannt nach einer Familie "von Bolanden", in staufischer Zeit sehr einflussreiche Reichsministeriale (Dienstmannen der Könige) und Vögte des Ingelheimer Reiches.

Werner II. von Bolanden, der über viele Ritter und Burgen verfügte und Barbarossa mehrfach auf seinen Italienfeldzügen begleitete, war auch "Vogt" des Ingelheimer Reichsgebietes. Ob dieser Turm in einem Zusammenhang mit der 1254 erwähnten Zollburg der Bolander steht, lässt sich nicht beweisen, ist aber wahrscheinlich, weil auch im Reutlingerbericht von 1587 von einer Zollerhebung in Nieder-Ingelheim die Rede ist. 

Auf dem folgenden Bild ist der Zustand der älteren bäuerlichen Bebauung links und rechts des Bolanderstumpfes zu sehen (aus: Classen, vor 1964).


Auf zwei Holzschnitten Sebastian Münsters (siehe unten) für den Artikel über "Ingelheim" in verschiedenen Auflagen seiner Cosmographie ist der Turm noch in voller Höhe dargestellt, weitere Türme sind ebenfalls erkennbar.

Da Münster, der aus Ingelheim stammte, oder sein Verleger mit den Illustrationen oft sehr großzügig umging (das Ingelheimer Bild musste 1544 auch für Mailand herhalten) und die Künstler ihre Bilder meist nur nach Anweisungen mit Unterstützung durch die eigene Fantasie gestalten mussten, ist der Aussagewert dieser Befestigungsabbildungen nicht sehr hoch.

Zur näheren Erläuterung beider Bilder diese bitte anklicken!

Beide Abbildungen aus der Cosmographie zeigen nur zwei starke Wehrtürme nach Süden (rechts) hin, wo der Mainzer Berg anstieg und die Mainzer Straße vorbeiführt und der Zoll erhoben wurde. Demgegenüber scheint ein Turm an der Nordwestecke, wo das Gelände zum Rhein hin abfällt und der Teich zusätzlichen Schutz bot, keinen so starken fortifikatorischen Charakter zu haben.


Auf einer Karte des Rheingaus von 1573, die im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden aufbewahrt wird (HStHW, 3011, 645), ist - vom Rheingau aus gesehen - auch "Ingelheim" dargestellt, womit der befestigte Saal mit dem daneben liegenden Dorf Nieder-Ingelheim gemeint war (siehe unten).

Die relativ geringe Bebauung der Burg deckt sich mit der früheren Darstellung bei Sebastian Münster. Zu sehen sind auch hier nur zwei Festungs-Türme, einer im Südosten (der höchste, unter dem Schild "Ingelheim"), der heute ganz veschwunden ist und nur im Pflaster auf dem Zuckerberg angezeigt wird, und der Bolander.

Links davon ist auf der Höhe noch die Kapelle für die Aachen-Pilger eingezeichnet, also etwa an der Stelle des früheren Hotels "Multatuli". Ober-Ingelheim erscheint unter der Beschriftung "Ingelheimer Grund". Durch mehrfache Eroberungen, (Teil-) Zerstörungen und Wiederaufbau stammen die Wehrbauten aus verschiedenen Epochen vom 12. Jh. bis zum 15. Jahrhundert.


Links: Wendeltreppe zu einem Teil der Wehrmauer im Westen, von der man einen Blick zur Remigiuskirche und über die Aula regia hat; am rechten Bildrand ein Teil der Außenwand der Apsis der Königshalle

Rechts: Blick durch die Zinnen zur Remigiuskirche, die Ottonenstraße entlang



 

Dadurch dass die linke (= westliche) Außenmauer der Aula regia als Teil der Wehrmauer und die rechte als Hausaußenmauer verwendet wurde, ist sie stellenweise noch - mit unterschiedlicher Höhe - original erhalten.


Gs, erstmals: 21.08.05; Stand: 07.11.21