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Sebastian Münsters Berufsweg


Autor: Hartmut Geißler
unter Mitwirkung von Margarete Köhler
nach Burmeister, Sebastian Münster


Inhalt:

a) Basel I       (1518 - 1520/21)
b) Heidelberg (1520/21 - 1529)
c) Basel II      (1529 - 1552)


a) Basel I (1518 - 1520/21)

Im Jahre 1518 - nach Burmeister 1963, S. 29f. - ist Münster von Tübingen nach Basel übergesiedelt, wahrscheinlich kurz bevor sein alter Lehrer Pellikan nach Basel kam. Auch hier arbeitete er als Lektor am Franziskanerstudium, als "interpres scolasticae theologiae ad fratres" (= Lektor der scholastischen Theologie für die Brüder), wie man aus Luthers Briefen erfährt.

Zugleich aber wendet er sich der Herausgabe von Büchern zu, was von nun an seine Hauptbetätigung wird. Sein verehrter Lehrer Pellikan war zu dieser Zeit eine Stütze des Buchdruckers Adam Petri (1454 - 1527), der sich insbesondere der Herausgabe von Luthers Schriften widmete. Im Jahre 1520 besorgte Pellikan eine erste Gesamtausgabe von Luthers Schriften bei Petri in Basel.

Auch Münster arbeitete nun bei Petri mit, sozusagen nebenberuflich, als Korrektor, Herausgeber und Übersetzer:

- Seine erste Schrift war eine überarbeitete Ausgabe des "Evangelisteriums des Markus Marulus", deren Nachwort schon Münsters reformatorisches Gedankengut zeigt.
- Anfang 1520 übersetzte er aus eigenem Antrieb die Schrift Luthers über die Zehn Gebote ("decem praecepta Wittenbergensi praedicta populo" = "Der zehen gebot ein nützlich erklerung. Item ein schöne predig von den vii. todsünden"); das Vorwort zeichnet er bescheiden nur mit "Vorred B. S. M" ( = "Bruder Sebastian Münster").
- August 1520 gab er die erste selbst verfasste Schrift heraus, die "Epitome Hebraica Grammaticae", diese allerdings beim Buchdrucker Froben, weil nur dieser damals hebräische Schriftzeichen drucken konnte. Durch diese hebräische Grammatik wurde er nun in weiteren Kreisen bekannt, denn ein solches Werk war in Deutschland bis dahin eine große Seltenheit. In der Folgezeit unterhielt Münster enge freundschaftliche Beziehungen zu beiden Basler Druckern.

Etwa 1520/1521 verließ er allerdings Basel wieder - vermutlich auf Anordnung seines Ordens - und kehrte nach Heidelberg zurück. Am Ordensstudium der Franziskaner wirkte er als Lektor für hebräische Sprache, und durch Kurfürst Ludwig von der Pfalz erhielt er an der Universität einen Lehrstuhl für Hebraistik. In den folgenden Jahren bezog er in seine Studien auch das Aramäische, Arabische und Äthiopische ein. Theologische Lehraufgaben hatte er nicht mehr wahrzunehmen. Die Beschränkung auf philologische Fachgebiete mag sowohl im Sinne Münsters als auch des Ordens gewesen sein.

Wenn er sich auch noch nicht offen zur neuen Lehre bekannte, so hatte er sich doch schon als Herausgeber von Luthers „Decem praecepta Wittenbergensia...“ und durch seine enge Zusammenarbeit mit Pellikan als Sympathisant der Reformation zu erkennen gegeben.


b) Heidelberg (1520-21 - 1529)

Burmeister teilt diese zweite Zeit in Heidelberg, die seinen Ruhm als Hebraisten begründete (siehe Bobzin!), in drei Abschnitte ein:

a) in die Zeit von 1521 - 1523 mit einer Lehrtätigkeit am Franziskanerstudium, gekennzeichnet von "unermüdlichen lexikographischen Arbeiten in der griechischen, hebräischen und aramäischen Sprache" (Burmeister 1963, S. 34);

b) in die Zeit von 1524 - 1527, wo Münster Professor für Hebraistik an der Heidelberger Universität war und vor allem praktische hebräische Lehrbücher herausgab; und

c) in die Zeit von 1527 - 1529, die Burmeister als ein "eigenartiges Vakuum" kennzeichnet. Aus ihr gibt es keine direkten Zeugnisse, und einige Autoren - nicht so Burmeister - rechnen sie schon seiner Basler Zeit zu. Nebenbei gehörte er zeitweise einer Universitätskommission an, die die Lehre Luthers prüfen sollte, gab einem jungen Adligen Eberhard von Erbach privaten Hebräischunterricht, und auch eine kurze Tätigkeit als Hofprediger wird erwogen. Einer seiner Schüler in Heidelberg war sein Neffe Joseph Münster (siehe Genealogie).

 

In Heidelberg lebte Münster nun ohne die ihn bisher betreuenden Lehrer, wie Pellikan und Stöffler.

Er lernte aber den Heidelberger Gräzisten Simon Grynäus (1493-1541) (rechts) kennen, mit dem ihn später in Basel eine enge Freundschaft verband.

Foto: Hist. Verein/Geißler


Während seiner gesamten Zeit in Heidelberg hielt er enge Kontakte zu den Basler Freunden, auch seiner Veröffentlichungen wegen, die in Basel gedruckt werden mussten. Dort benutzte er die renommierte Werkstatt für hebräische Bücher von Johannes Froben, dessen Zeichen der Schlangenstab war.

Daraus ergaben sich mehrere Reisen nach Basel, von denen Burmeister (S. 36) mindestens sechs nachweisen kann. Er selbst berichtet von drei Malen, bei denen er wegen seiner Erkennbarkeit als Mönch in Lebensgefahr durch aufständische Bauern geriet.

Auch mit der Universität geriet er wegen seiner zeitaufwändigen Reisen nach Basel immer wieder in Konflikte; er musste mehrfach um Urlaub bitten, auch um Urlaubsverlängerung, was er aber immer genehmigt bekam.

Münsters hebraistische Veröffentlichungen, die aus seiner Heidelberger Zeit erwachsen sind:

a) lexikographische Arbeiten des Hebräischen

 

 

 

- 1523 das Dictionarium hebraicum , das 40 Jahre lang in mehreren Auflagen das bedeutendste hebräische Wörterbuch in Deutschland blieb

- 1521 das Dictionarium trilingue (lateinisch - griechisch - hebräisch)

 

 

 

Links: Titelblatt des Dictionarium hebraicum, Basel, Froben 1525, im Monat November
Museum bei der Kaiserpfalz / Foto: Geißler

 

 

 

b) grammatische Arbeiten des Hebräischen

Links: "Institutiones Grammaticae in Hebraeam linguam" (Museum bei der Kaiserpfalz / Foto: Geißler)

Übersetzung des lateinischen Titels (Gs): Die Institutiones Grammaticae in Hebraeam linguam des Minoritenbruders Sebastian Münster aus Ingelheim, dessen Inhaltsverzeichnis auf der nächsten Seite steht. Das Werk ist aktuell und seitenweise verbessert vom Autor selbst in der Werkstatt von Froben. Im Jahr 1524

 

- 1524 die Institutiones (mit einer viersprachigen Ausgabe des Propheten Jonas zu sprachlichen Übungszwecken)

- 1525 die Grammatik ("sefar habbahur") des jüdischen Hebraisten Elijah ben Ascher ha Levi ha Aschkenasi (= Elia Levita") aus Neustadt an der Aisch (bei Nürnberg) in lateinischer Übersetzung unter dem Titel "Grammatica hebraica absolutissima" mit drei ergänzenden Traktaten

- 1525 die Übersetzung eines zweiten Werkes von Levita, des "sefar haharkaba" als "Liber compositionis", eines Hilfsmittels für aramäische Studien

- 1526 ebenfalls eine Übersetzung einer Schrift Levitas über die hebräische Akzentlehre, der "pirqe", als "Capitula"

- 1531 ein zweisprachiger Kommentar Levitas zur Grammatik des Moses Kimhi (und 1539 die Übersetzungen von zwei weiteren Schriften Levitas: accentuum liber und der liber traditionum)

- 1527 die dritte hebräische Grammatik Münsters, das Compendium hebraicae grammaticae

 

c) aramäische Arbeiten

- 1525/26 ein aramäisches Wörterbuch, das "Dictionarium Chaldaicum"

- 1527 eine aramäische Grammatik, die "Chaldaica grammatica"

Beide Werke waren von Münster zum autodidaktischen Studium gedacht, da es damals in Deutschland keine Lehrer für das Aramäische gab. Sie trugen besonders zum Ruhme Münsters als eines (später so genannten) Semitisten bei.


c) Basel II (1529 - 1552)

Nach den reformatorischen Unruhen in Basel (1528/29) und nach der Abwanderung vieler katholisch bleibender Professoren war ein Neuaufbau der Basler Universität nötig geworden. U.a. sollte je ein Ordinarius für Griechisch und Hebräisch berufen werden. Angeblich verzichtete der Straßburger Theologe Bonifaz Wolfhardt zugunsten von Sebastian Münster, um ihm dadurch die Chance zu geben, sich von seinem Orden zu trennen. Diese Gelegenheit nutzte dieser nun, trat aus dem Orden aus und reiste über Straßburg nach Basel, wo er Ende Juli/Anfang August 1529 eintraf.

Münsters Professorengehalt wurde vom Rat der Stadt auf 60 Gulden pro Jahr festgesetzt, zwar doppelt so viel wie in Heidelberg, aber für Basler Verhältnisse nur ein mittleres Gehalt. Als Wohnung wies man ihm das Haus Münsterplatz Nr. 11 zu, ein sehr vornehmes Haus, das vorher dem nach Freiburg ausgewanderten Kanoniker Thomas von Falckenstein gehört hatte.

Zuwendungen für Lebensmittel und Brennholz erhielt er nicht, so dass er selbst Gartenbau und Weinbau betrieb, wahrscheinlich am Haus, das seine spätere Frau im Sternengässlein Nr. 29/31 besaß.

Auch wenn er in seiner Dienstwohnung noch zeitweise Studenten in Pension hatte, was damals zur Aufbesserung der Professoreneinkünfte durchaus üblich war, schätzt Burmeister seine wirtschaftliche Lage insgesamt nicht als günstig ein; die Klagen Münsters seien aber - so Burmeister - nicht immer ganz wörtlich zu nehmen. Schließlich musste er zum ersten Mal seit seinem Eintritt in den Franziskanerorden wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen.

Die Heirat mit der Witwe des Druckers Adam Petri habe daran auch nichts geändert, denn die Druckerei war ganz in die Hände des Sohnes Heinrich Petri übergegangen, der sie wirtschaftlich völlig getrennt von Münster führte.

Für die Aussteuer zur Heirat seiner Tochter Aretia musste sich Münster 30 Gulden borgen, also die Hälfte seines Jahresgehaltes.

Einen akademischen Grad hatte Münster ja nicht, da dieser durch das Studium bei den Franziskanern nicht verliehen wurde. Aber auch nach seinem Austritt aus dem Orden lehnte Münster die Erlangung eines Grades ab, ja, als er 1542 auf den theologischen Lehrstuhl berufen worden war, kam er der Aufforderung zum nachträglichen Promovieren nicht nach, sondern gab diesen Lehrstuhl lieber wieder auf. Die Universität muss wohl für ihn einen Sonderstatus geschaffen haben.

Als Ordinarius nahm Münster an den Sitzungen der Universitätsleitung teil und wurde sogar für das Jahr 1547/48 zum Rektor der Universität gewählt, ein Amt, das er allerdings nicht sehr geschätzt hat, wohl weil es ihn von der Arbeit an der Kosmographie abhielt.

Übersetzung des lateinisches Textes:

Im Jahre 1547 nach Christi Geburt wurde genau am 1. Mai zum Rektor der ... (?) Akademie von Basel bestimmt: Sebastian Münster aus Ingelheim, öffentlicher Professor derselben Lehranstalt für die hebräische Sprache, der [als Rektor] folgende Studenten in den Dienst an der Wissenschaft aufnahm: ...

 

Sogleich nach seiner Ankunft begann Münster mit seinen hebräischen Vorlesungen, die er 23 Jahre lang ohne Unterbrechung hielt.

Als Übungstexte legte er biblische Bücher zugrunde, aber auch zwei mathematische Werke. Außerdem musste Münster ab 1531 täglich, aber in wöchentlichem Wechsel mit seinem Neutestament-Kollegen Simon Grynaeus, mit zwei Kollegen (Ökolampad und Phrygio) einen Abschnitt der hebräischen Bibel grammatisch erklären, woran sich eine theologische Exegese dieses Textes durch Ökolampadius, Pfarrer am Basler Münster, in lateinischer Sprache anschloss und eine deutsche Zusammenfassung durch Phrygio folgte.

Diese Exegese fand im Chor des Basler Münsters statt.

Nach der Studienordnung von 1541 hatte Münster insgesamt acht Wochenstunden zu lesen, die von 7 - 10 Uhr und von 13 bis 18 Uhr lagen, aber auch umgelegt werden konnten.
Seine Vorlesungen scheinen eine große Anziehungskraft ausgeübt zu haben, was der große Zulauf von überall her verdeutlicht. Burmeister berichtet "von einem Siebenbürger, der 1543 ohne Geld von Wittenberg nach Basel kommt, um bei Münster Hebräisch zu lernen" (S. 67).

Johannes Calvin habe wiederholt junge Theologen nach Basel geschickt und war wahrscheinlich auch selbst Münsters Schüler. Ein anderer seiner Schüler, Erasmus Oswald Schreckenfuchs, ist durch seine Trauerrede auf den Tod seines Lehrers bekannt geworden.

Zu seinen Studenten scheint Münster ein gutes Verhältnis gehabt zu haben. Des öfteren setzte er sich für deren soziale Probleme ein, insbesondere für französische Studenten.

Münsters Veröffentlichungen aus der zweiten Basler Zeit Sie sind nicht mehr einseitig im Bereich der Hebraistik angesiedelt, sondern es kommen nun mathematische, astronomische und geographische Schriften hinzu. Die hebraistischen führen zum Teil die eher schulmännischen Heidelberger Schriften fort, andere wenden sich verstärkt dem rabbinischen Schrifttum zu und eine dritte Gruppe befasst sich mit der Bibel im engeren Sinne.


a) schulmännische Hebraistik-Schriften

- 1535 ein knapper Abriss der hebräischen Sprache, die "Isagoge elementalis"

- 1536 eine Übersicht über die unregelmäßigen hebräischen Verben, die "Hebraicae grammaticae praecipua illa pars, quae est de verborum coniugationibus"

- 1537 Herausgabe einer kommentierten Ausgabe von Reuchlins "Rudimenta Hebraica"

- 1539 Herausgabe von zwei weiteren Schriften Levitas

- 1542 das "Opus grammaticum consummatum", das die Summe von Münsters hebräischem Wissen enthält und wiederholt (auch posthum) neu aufgelegt und erweitert wurde


Burmeister versucht eine Würdigung Münsters als Hebräisch-Lehrer und betont dabei, dass er in schroffen Gegensatz zu anderen Hebräisch-Lehrern sehr starken Wert auf die grundlegende Bedeutung des Grammatikunterrichts legte. Damit übte er einen weit reichenden Einfluss auf den Hebräisch-Unterricht in Europa aus.

Burmeister schätzt die Gesamtzahl seiner Hebräisch-Bücher auf etwa 100.000, von denen noch 5% existieren. Seine Lehrwerke sind in vielen deutschen und schweizerischen, aber auch französischen und italienischen Bibliotheken bis heute erhalten. Münster war als Hebraist gleichermaßen bei Katholiken wie bei Protestanten geschätzt und fand kaum Kritiker.

Zur Intensivierung seiner Hebräisch-Kenntnisse ging er oftmals in Synagogen und auf jüdische Friedhöfe und studierte die rabbinische Literatur. Auch wenn er die jüdischen Lehrmethoden des Hebräischen verachtete, so pflegte er doch vielfältige persönliche Kontakte zu Juden, vor allem aber brieflich, z.B. mit Elia Levita.


b) Veröffentlichungen rabbinischer Literatur (z.T. noch von Heidelberg aus)

- 1526/27 Herausgabe der Logik des jüdischen Philosophen Moses Maimonides (von Heidelberg aus)

- 1527 (von Heidelberg aus) Text der Zehn Gebote ("Decalogus") mit einem Targum und dem Kommentar des Abraham ben Meir ibn Esra ("Aben Esra"), den Münster als den gelehrtesten und verständlichsten Bibelkommentar überhaupt bezeichnete.

Das brachte ihm manche Kritik aus dem christlichen Lager ein, die ihn in die Nähe eines Ketzers zu rücken drohte. In der Folgezeit hielt sich Münster mit solchen Urteilen deswegen zurück.

Im Vorwort des Decalogus ermahnt er seinen Neffen Joseph, der bei ihm in Heidelberg studierte und dem er diese Schrift widmete, die zehn Gebote mit ganzem Herzen ("toto corde") aufzunehmen.

- 1527 (von Heidelberg aus) das Kalendarium Hebraicum, ein Sammelwerk rabbinischer Schriften historischen und chronologischen Inhalts; Burmeister schätzt die Bedeutung dieses preiswerten Buches ähnlich hoch für die vergleichende jüdisch-christliche Chronologie ein wie heutzutage Grotefends Taschenbuch.

- 1529 bei Peter Schöffer in Worms zwei weitere Übersetzungen ins Lateinische,

a) die dreizehn Dogmen des Moses Maimonides und
b) die Geschichte der jüdischen Herrscher während des zweiten Tempels von Abraham ben David ha-Levi aus Toledo.

- 1530 ein hebräisch herausgegebener Kommentar das David Kimhi zu Joel und Malachias

- 1531 ein weiterer Kommentar von David Kimhi zu Amos

- 1531 bei Andreas Cratander in Basel die Grammatik des Moses Kimhi mit einem Kommentar des Elia Levita, von Münster zweisprachig herausgegeben

- 1533 eine zweisprachige Ausgabe der exegetischen Schrift sefär mizwot von Moses von Couzy

- 1546 (mit seinem Schüler Schreckenfuchs zusammen) die astronomische Schrift sefär surat ha-aräs von Abraham ben Chija und die mathematische Schrift meläkät hammispar von Elia Mizrachi, die er durch Elia Levita zugesendet bekommen hatte

- In der Cosmographie von 1550 veröffentlichte er einen Teil einer geographischen Schrift von Eldad ha-Dani aus dem 9. Jh., das sefär eldad haddani, mit lateinischen Glossen.

Mit seiner Herausgabe und lateinischen Übersetzung dieser rabbinischen Schriften wurde Münster zu einem der Begründer des Studiums der rabbinischen Literatur in Deutschland, urteilt Burmeister.


c) Veröffentlichungen zur Judenmission

Wohl um dem immer wieder erhobenen Vorwurf der Häresie zu entgehen, betätigte sich Münster auch in der Judenmission, aber nach Burmeister (S. 81 ff.) eher "halbherzig" und "resignativ". Die Kirche wollte sie und hatte auf den Konzilien von Vienne und Basel die Hoffnung auf eine erfolgreichere Judenmission an die Errichtung der christlich-hebräischen Lehrstühle geknüpft.

- 1529 (in Zusammenhang mit der Herausgabe der Glaubenslehre des Maimonides) erschien eine kleine Schrift Münsters mit dem Titel hawwikuah: Die Disputation

- 1537 eine lateinische Übersetzung des hebräischen Matthäusevangeliums, das Evangelium secundum Matthaeum mit einem umfangreichen Traktat als Einleitung De fide Christianorum et Judaeorum

- 1539 der Dialog Messias Christianorum et Judaeorum in hebräischer und in lateinischer Fassung


d) Arbeiten zum Alten Testament

Vorarbeiten
- 1524 Jonas,
- 1524 Proverbia,
- 1525 Ecclesiastes,
- 1525 Canticum Canticorum; später noch
- 1542 Tobias,

jeweils zwei- oder mehrsprachig, zum Studium seiner Studenten geeignet, wobei die lateinischen Übersetzungen vom Wort-zu-Wort-Prinzip beherrscht werden

- ohne Jahr (Burmeister: kurz vor 1534) erschien der Isaia polyglott, d.h. hebräischer Text, griechische Septuaginta, lateinische Vulgata, Münsters wörtliche Übersetzung und ein Kommentar nach David Kimhi

- 1534/35 die Biblia Hebraica, hebräisch und lateinisch in zwei Bänden, die Krönung seines hebraistischen Schaffens, die lateinische Übersetzung wiederum sehr stark ans Hebräische angelehnt; sie fand weite Anerkennung, selbst bei Luther, der ihn ansonsten als zu rabbinerhörig kritisierte, und wurde in England der autorisierten neuen Bibelübersetzung durch Miles Coverdale weitgehend zu Grunde gelegt.

 

Münster als Theologieprofessor

Als durch eine Pestepidemie im Sommer 1541 die Basler Universität auch verschiedene Professoren verlor, wurde Münster gedrängt, einen theologischen Lehrstuhl zu übernehmen, wozu an sich ein Nichtgraduierter gar nicht in Frage kam.

Die Universitätsleitung einigte sich mit ihm dahingehend, dass er für ein Jahr die Professur übernehmen sollte, aber in dieser Zeit auch zum Doktor der Theologie promovieren. Er tat dies insgesamt zwei oder zweieinhalb Jahre, ohne zu promovieren. Sein Rücktritt schließlich hat Münster erleichtert (Burmeister S. 99).

"Münster ist Philologe, nicht Theologe", auf diese kurze Formel bringt es Burmeister (S. 98). Er fügt aber hinzu, "dass Münster die Theologie in ihrer umfassenden Bedeutung als philosophia Christiana stets als die höchste Wissenschaft betrachtet hat, in deren Dienst er sich mit seinem ganzen Schaffen stellte. Es ist lediglich die Theologie als Wissenschaft im engeren Sinne, die Münster vernachlässigt hat." (S. 99)

Münster las ausschließlich über die Propheten, und zwar sehr langsam, pro Woche nicht mehr als ein Kapitel. Burmeister nimmt an, dass auch dabei sprachliche Probleme im Vordergrund standen. Während dieser Zeit wurde von ihm ein Gutachten verlangt, ob man den Koran in einer lateinischen Übersetzung drucken dürfe. Entgegen seiner sonstigen philologisch-toleranten Haltung stellte sich Münster diesmal hier auf die Seite der Orthodoxen, die den Druck ablehnten. Burmeister nimmt an, dass dies aus Neid geschah, da schon sein Stiefsohn Petri 1536 eine Koranausgabe geplant hatte, die aber aufgrund eines Einspruches des Rates nicht zustande kam. Der lateinische Koran wurde gedruckt, aber beim Drucker Oporin.

 

Münster als Geograph

Wie können sich Hebraistik und Geographie bei Sebastian Münster verbinden? Diese Frage versucht Burmeister dahin gehend zu beantworten, dass er beides unter Münsters Streben nach (christlicher) Erkenntnis subsumiert:

"Während die Hebraistik den Weg zur Offenbarung des Alten Testaments wies, waren die Geographie und die mit ihr untrennbar verbundene Geschichte der Schlüssel zur Erfassung der räumlichen und zeitlichen Ausdehnung der Schöpfung." (S. 108)

Und er zitiert ihn mit einem lateinischen Bekenntnis: "coelum et terra et omnia quae sunt in eis, specula sunt creatorem ipsum homini repraesentantia invitantiaque ad eius cognitionem" ( Ptol. 1542, praef.; = Himmel und Erde und alles, was darinnen ist, sind Spiegel, die dem Menschen den Schöpfer selbst vor Augen führen und ihn zu seiner Erkenntnis einladen; Gs)

Die Worte des Psalms 104 sind für ihn geradezu ein Motto für Werke wie die Kosmographie. Aber auch wenn der Nachruhm Münsters heute überwiegend auf seiner Cosmographie beruht, so hebt Burmeister doch hervor, dass Münster zu seinen Lebzeiten vorwiegend ein Hebraist war, in einer Wissenschaft, die ihn allein schon völlig auslastete.

Parallel dazu arbeitete er aber schon viele Jahre an geographischen Veröffentlichungen, die etwa ab 1537 mehr und mehr in den Vordergrund traten. Auf seine Lehrtätigkeit habe sich das jedoch offiziell nicht ausgewirkt. Geographie, Mathematik (darunter auch der Bau von Sonnenuhren; siehe die "Fürmalung") und Astronomie (Kalenderwesen) blieben seine privaten Hobbys. Im Grunde genommen, so Burmeister, sei - im Unterschied zu seinen vielfältigen Veröffentlichungen in der Hebraistik - die "Cosmographia" das einzige richtige geographische Werk Münsters.

Die Anregungen zu geographischen Arbeiten erhielt Münster wohl schon 1524 und 1526 von seinem Freund Beatus Rhenanus. Von genuin geographischen Interessen geleitet war auch seine Fahrt zu den Silberbergwerken im elsässischen Lebertal/Liepvrette (1545).


Geographische Vorarbeiten

- 1526 "Heidelberger bezirck", eine Karte des Rheines von Basel bis Mainz, kommentiert durch einen zweiseitigen Text

- 1530 "Germaniae descriptio", eine kleine Schrift mit der Erläuterung einer Deutschlandkarte von Nikolaus Cusanus (s. rechts)

- 1532 "Typi cosmographici", Münsters Beitrag zu einer Weltbeschreibung von Simon Grynaeus ("Novus Orbis"), wo er eine Weltkarte auf zehn Seiten erläutert

- 1536 "Mappa Europae" (s. rechts unten), ausnahmsweise in Frankfurt bei Christian Egenolff gedruckt, wo die kleine Karte Europas nur als Beiwerk, als Illustration zu den eigentlichen Textseiten dient; das Büchlein war populäre Ausgabe der Germaniae descriptio, erweitert um einige Bereiche (westeuropäische Staaten und Tartarei),

- 1537 in zweiter Auflage unter dem Titel "Cosmographei" erschienen

- 1538 "Raetia", eine Veröffentlichung des Manuskriptes des Schweizer Historiographen Ägidius Tschudi (1505 - 1572), die Münster für das vorbildliche Werk einer historischen Landeskunde ansah, in Verbindung mit einer hervorragenden Landkarte der Schweiz etwa im Maßstab 1 : 350.000

- 1538 "Solin und Mela", eine kommentierte Ausgabe der Schriften der römischen Geographen Pomponius Mela (1. Jh. n. Chr.) und C. Julius Solinus (3. Jh. n. Chr.)

- 1540 eine philologisch-kritische Ausgabe der lateinischen Übersetzung der Geographie des "Ptolemaeus", ergänzt durch einen geographischen Anhang von 40 Seiten und einen Atlasteil, beides direkte Vorarbeiten zur Kosmographie, die z.T. in ihr weiterverwendet wurden

- Seit 1530 arbeitete Münster am Manuskript der Cosmographie. Es war eine Riesenarbeit, die er sich damit vorgenommen hatte. Burmeister stellt den 40 Seiten der "Appendix geographica" aus dem Ptolemäus die 660 Seiten der ersten Ausgabe der Cosmographie von 1544 gegenüber.

Unter dem Zeitdruck, dass die erste Auflage zur Frankfurter Herbstmesse 1544 fertig sein sollte, geriet sie zu einer vorläufigen, unvollendeten Fassung, die er alsbald verbesserte und die bis 1628 noch viele Neuauflagen, auch in anderen Sprachen, erlebte.

 

Auflagen von Münsters Cosmographie(aus dem Anhang zu Schreckenfuchs, S. 32):

Sprache

vor seinem Tode

nach seinem Tode

Deutsch1544155315671588
1545155615691592
1546155815721598
1548156115741614
1550156415781628
Lateinisch155015541572
15521559
Französisch1552155615651575
15601568
Englisch*)1552155315721577
156115741885
Tschechisch1554
Italienisch1558(1571)1575

*) E gibt keine vollständige Ausgabe der Cosmographie in Englisch. Die Mehrzahl dieser sogenannten englischen Ausgaben umfasst nur die Kapitel über die Neue Welt.

Die Gesamtzahl der Exemplare aus den 21 deutschen Auflagen schätzt Burmeister auf 50.000, aus den 5 lateinischen Ausgaben auf insgesamt 10.000 Exemplare.

"Die Kosmographie war mehr noch als die hebraistischen Werke Münsters ein Werk von europäischer Bedeutung. Wie die Mitarbeiter Münsters aus ganz Europa kamen, so auch die Kritiker und die anerkennenden Urteile." (Burmeister 1963, S. 181)

Aus der Arbeit an ihr riss ihn der Tod durch die Pest 1552.

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Gs, erstmals 01.08.06; Stand: 21.12.20