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Die Schulsituation in Frei-Weinheim im 19. Jahrhundert

 

Autor: Hartmut Geißler
aus: Geißler, Volksschulgeschichte, BIG 56, S. 202 ff.

 

Die materielle Situation der Frei-Weinheimer Lehrer zu Beginn des Jahrhunderts

Am 27. November 1802, also noch in französischer Zeit, erteilte der Bürgermeister Leon (der maire dahier) dem Districtsrath Derscheid in Ober-Ingelheim eine Antwort auf dessen Umfrage, wie es um das Schulwesen in Frei-Weinheim stünde.

1.) In unserer Gemeinde Freyweinheim sind zwey Schullehrer, näml. ein Catholischer und ein Reformierter.
2.) Der Catholische heißt: Simon Leich, der Reformierte: Andreas Schewer. Ersterem seine Fähigkeiten bestehen im Deutsch und Lateinisch Lesen und Schreiben, wie auch Rechnen; und besonders noch solche Anständigkeiten, die mann von einem Schullehrer fordert. Letzterer besitzt das nämliche. Die ernennung ersteren ist seit ao 1777. Letzterem seine ao: 1748. Die Schüler und Schülerin bestehen von seiten der Cathol: in der Zahl von 24, und von seiten der Reformierten 17. Der Unterricht den sie bekommen, ist der nämliche den auch der Lehrer hat.
3.) Bey alter Verfassung hatte der Cathol. Schullhr 10 Mltr Korn und 20 fl. an Geld; der Reformierte aber nur 5 Mltr Korn und 10 fl. an Geld zu ihrer Bezahlung; bey der jetzige Verfassung, bekomen beyde nichts! Der Fond aber wovon ihre besoldung hergenommen worden ist, kann von mir nicht so genau bestimmt werden; so viel aber ist gewiß, daß beyde beschriebene besoldung von der Churfürst Pfälzische administration alljährig empfangen haben, und nebst dieser besoldung hatten beyde nichts

Als Fähigkeiten beider Lehrer werden genannt:
Deutsch und Latein könnten sie lesen und schreiben sowie (etwas) Rechnen.

Auch eine Aufstellung der Schuleinkünfte von 1806 zeigte kein besseres Bild: Es gehörten keinerlei Einkünfte bringende Grundstücke zur Schule, die Geldzuschüsse aus dem kurpfälzischen Heidelberg seien fortgefallen, und auf die Frage In was bestehen die Einkünfte in Natur wurde die lapidare Antwort gegeben:

"In Nichts!"

Das bedeutet, dass durch den Anschluss der Kurpfälzer Territorien links des Rheines an Frankreich die vorherige Bezahlung aus dem Schulfonds von Heidelberg fortgefallen war und die beiden Lehrer offenbar ohne jede Besoldung waren, abgesehen was sie von den Eltern bekamen. Aber so ging es in der französischen Zeit vielen Lehrern in ehemals kurpfälzischen Orten. Die reformierten Schüler erhielten seit 1811 deshalb gar keinen Unterricht.

Diese Schul-Situation in einem armen Dorf dürfte 1816 in Rheinhessen nicht selten gewesen sein.

Die Provinzialregierung in Mainz (Wilhelm Hesse?) machte daher in einem Schreiben vom 17. November 1825 an den Bürgermeister folgenden Vorschlag:

Der Ertrag der kath. Schulbesoldung ist so gering, daß ein Mann davon nicht leben kann. Auf der anderen Seite sehen wir ein, daß die katholischen Familienväter in dieser Zeit nicht im Stande sind, zur Erhöhung der Besoldung beizutragen. Die protestantischen Einwohner zu Freiweinheim befinden sich in derselben Lage. Sie haben keine ständige Schule und können eben so wenig eine nur erträgliche Besoldung aufbringen. Unter diesen Verhältnissen bleibt nur ein Weg übrig, um das Schulwesen in Freiweinheim in einen besseren Zustand zu bringen, daß nämlich die dortigen Einwohner zur Errichtung einer gemeinschaftlichen Schule sich freundlich die Hand geben. Dann kann ohne Anstand von der vereinten Gemeinde ein Lehrergehalt von mindestens 150 fl. aufgebracht werden. Die höchste Staatsregierung hat uns zugleich eröffnet, daß kleine Gemeinden, welche sich zur Errichtung einer gemeinschaftlichen Schule entschließen, aus dem von den Ständen bewilligten Fonds vorzugsweise einen Zuschuß zur Verbesserung der Schulbesoldungen zu erwarten haben. Sie wollen nun mit den beiden Geistlichen Ihrer Gemeinde und mit den an-geseheneren Familienvätern von den beiden Confessionen über diese Angelegenheit sich berathen und uns hiernach so bald als möglich in Kenntniß setzen, welchen Erfolg diese Berathung gehabt hat.


Konfessionsverteilung und Gebäudezahl Frei-Weinheims 1829

Das Budget-Formular von Frei-Weinheim für das Jahr 1829 nennt folgende Seelenzahlen:
katholische 274, evangelische 144, zusammen 418; Wohnhäuser: 54.

Nur etwa ein Drittel der Einwohner war also evangelisch, und in den kleinen Wohnhäusern Frei-Weinheims lebten im Durchschnitt jeweils fast acht Personen.

Das katholische Schulhaus

Das alte katholische Schulhaus des 18. Jahrhunderts lag in der Backhausgasse Nr. 5. Es diente ab 1829 als das größere der beiden Schulgebäude für die erste überkonfessionelle Gemeindeschule Ingelheims. 1927 wurde es verkauft (IZ, 25.10.1927) und zu einem privaten Wohnhaus umgebaut, was bis heute existiert.

Das evangelische Schulhaus

Die reformierte Gemeinde konnte sich ein Schulhaus 1748 nur nach einer weit reichenden Spendensammlung errichten. Es lag bzw. liegt neben der reformierten Kirche von 1739 an der Ecke der heutigen Schubertstraße/Kirchstraße (heute Schubertstraße 22), ihr ursprünglich einstöckiges Gebäude wurde 1868 nach erneuter Teilung in zwei Konfessionsschulen auf zwei Stockwerke aufgestockt und 1912 an einen Privatmann verkauft, der es zum Wohnhaus umgestaltete, das – kaum mehr als Schule zu erkennen – wie die alte katholische Schule bis heute privat genutzt wird.


Die erste Gemeindeschule

In seinem Schulbericht für das Jahr 1859 an das Dekanat gibt der zuständige Nieder-Ingelheimer katholische Pfarrer Cloßmann einen historischen Rückblick auf die katholische Schulgeschichte von Frei-Weinheim in der ersten Jahrhunderthälfte:

Diese Gemeinde besaß vor 30 Jahren eine kath. Konfessionsschule mit einem fürs Schulfach wenig gebildeten Lehrer – Philipp Leon – bis zum Jahre 1829. In diesem Jahr wurde aus Mangel an Sustentationsmitteln für einen sachgebildeten kath. Lehrer, welche auch für einen protestantischen fehlten, eine Communalschule errichtet mit jetzt 47 Knaben und 46 Mädchen, zusammen 93 Kinder, wovon 2/3 samt dem Lehrer katholische sind.

Der Gehalt ist folgendermaßen festgestellt:
1. Aus dem allgemeinen Schulverbesserungsfonds 30 fl.
2. Aus der Gemeindekasse durch Umlagen 120 fl.
3. Desgl. Heizungsvergütung 40 fl.
4. Desgl. für Polizeigeläute 12 fl.
5. Wohnungsanschlag 20 fl.
6. Accidentien als katholischer Kirchendiener 3 fl.
7. Als Organist für gestiftete Ämter 1 fl. 55 kr.
im ganzen 226 fl. 55 kr.

Privatives Schuleigentum besaßen die beiden Religionsgemeinden nichts weiter als eine jede ein geringes Schulhäuschen. Durch damalige Übereinkunft wurde das kath., als das geräumigere und sonst zweckmäßigere zu dem gemeinsamen Gebrauche bestimmt und aus Staats- und Gemeindemitteln hierzu vollends hergerichtet…

Ein Vergleich: Ein definitiv angestellter Lehrer verdiente einige Jahre vorher (1836)in

... Ober-Ingelheim ca. 360 fl. (Gulden) im Jahr
... Nieder-Ingelheim ca. 401 fl.
... Großwinternheim ca. 243 fl.
... Frei-Weinheim jedoch (1836!) nur ca. 187 fl.

Man sieht an diesem Vergleich, dass bei sehr armen Gemeinden selbst die Zusammenlegung zweier Konfessionsschulen zu einer Gemeindeschule nicht alle Finanzprobleme lösen konnte. Aber wenigstens bekamen die evangelischen Schüler nun Unterricht.


Die Wiederauflösung

Einige Jahre danach (1863) entbrannte bei den Bemühungen um eine Wiederauflösung der Gemeindeschule zugunsten zweier Konfessionsschulen ein lange währender finanzieller Streit. Ihre Auflösung 1867 begründet die Oberstudiendirection in Darmstadt damit, ass die Zusammenlegung 1829 gegen den Willen der beiden Konfessionsgemeinden, … durch einen Gewaltstreich … erfolgt sei und deswegen nicht zu Recht bestünde. - Die bis heute erhaltenen Quellen aus dieser Zeit geben allerdings eine solche Interpretation nicht her.


Die zweite Zusammenlegung

Ihre Trennung hatte jedoch nur kurze Zeit Bestand, bis 1875 die Schulen nach dem neuen Schulgesetz wieder zusammengelegt wurden. Für diese neue Gemeindeschule wurde 1877/78 auf einer Hofreite an der Rheinstraße mit Haus und Scheune ein neues Schulhaus mit Lehrerwohnhaus eingerichtet. Die Scheune, die quer im hinteren Bereich lag, wurde zu einem zweistöckigen Schulhaus umgebaut. An seiner Stelle steht das heutige Bürgerhaus. Dahinter befand sich ein Schulgarten. Das zweistöckige Wohnhaus an der Straße wurde als Lehrerwohnhaus benutzt und ist als einziges Gebäude heute noch erhalten, mit der Hausnummer Rheinstraße Nr. 236.


Die ehemalige Scheune, zum zweistöckigen Unterrichtsgebäude umgebaut, sieht man links im Hintergrund. An ihrer Stelle steht heute das Bürgerhaus. Rechts im Vordergrund sieht man an der Straße das gleichfalls doppelstöckige Wohnhaus, das nach dem Ende der Schulbenutzung zu anderen kommunalen Zwecken diente. Links davon steht (mittig) ein niedriges Häuschen, das Spritzenhaus der Feuerwehr mit einer Arrestzelle. An seiner Stelle liegt heute ein Teil des Parkplatzes vor dem Bürgerhaus. Ein besseres Foto dieses Komplexes hat sich bis heute nicht finden lassen.

Das ehemaliger Lehrerwohnhaus an der Straße sieht heute so aus:


Nach mündlichen Auskünften alter Frei-Weinheimer, die Alfons Ball eingeholt hat, wurde im 20. Jahrhundert das Lehrerwohnhaus im oberen Stockwerk noch als Lehrerwohnung benutzt (Lehrer Schönefeld, Heupt und Klee), während im Untergeschoss ein Gemeindebüro untergebracht war. Der Bürgermeister Nikolaus Thorn (Bm. 1892-1899) hat nach Aussage seiner Urenkelin alle Amtsgeschäfte, Besprechungen oder Besuche der Mitarbeiter der Kreisverwaltung in seinem Wohnhaus auf dem Deich durchgeführt. Insofern kann man wohl feststellen, dass das Lehrerwohnhaus nicht als Rathaus in einem herkömmlichen Sinne gedient hat, das Adlerwappen über seiner Eingangstür geht auf kein offizielles Wappen zurück, das Frei-Weinheim nie besessen hat.

Wegen der weiter wachsenden Schülerzahl wurde auch hier bald ein Erweiterungsbau nötig, der 1908 in der Form verwirklicht wurde, dass an das bestehende Schulhaus links (nach Norden hin) ein Bauteil angefügt wurde, in dessen Erdgeschoss eine dritte Klasse Platz fand.

 

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Gs, erstmals: 13.02.17; Stand: 22.03.21