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Drei verschwundene Kreuzkapellen bei Ingelheim

 

Autor: Andreas Saalwächter
in Ingelheimer Anzeiger Nr. 60 vom 29. Mai 1909
(= BIG 9, S. 107-109) - gekürzt/Gs

 

Zu Beginn seines Aufsatzes zählt Saalwächter alle ihm aus urkundlichen Erwähnungen bekannt gewordenen Feldkreuze auf, die in spätmittelalterlicher Volksfrömmigkeit in der Ingelheimer und Wackernheimer Gemarkung gestiftet worden waren.

in Nieder-Ingelheim:

- für die Heiligen Antonius (am Tiefenweg), Johannes und Remigius
- das rote Kreuz
- das Dankeskreuz
- das Swenkencrucze
- am Heidesheimer Weg
- am Herstel
- auf dem Klopp (Flur nördlich der Mainzer Straße in Höhe des Tiefenweges)

in Ober-Ingelheim:

- vor dem Burgtore am Ausgang gegen Nieder-Ingelheim (mit Burg könnte aber auch damals der Saal gemeint sein, dann würde das Burgtor das Tor meinen, durch das man zum Dorf Nieder-Ingelheim kam
- Hagelkreuz am Algesheimer Weg
- am Mainzer Weg
- vor der Rinderbacher Pforte
- am oberen Ingelheimer Weg

in Großwinternheim:

- am Hilbersheimer Weg
- am Schwabenheimer Häuserweg

in Wackernheim:

- an der Straße von Mainz nach Bingen

Dann fährt er fort:

Aber auch Altäre waren der Kreuzverehrung gestiftet, nicht nur innerhalb der Kirchen, wie zu Partenheim, Groß-Winternheim und Ober-Ingelheim, sondern auch auf den mit Kreuzen geschmückten Bergen. Als der kirchliche Sinn an den durch landschaftliche Schönheit ausgezeichneten Punkten eigene Kapellen baute, die wie jene auf dem Rochusberg bei Bingen, dem Jakobsberg bei Ockenheim, dem Laurenziberg bei Gau-Algesheim heute noch die Gegend zieren, da entstanden zur Verehrung des Kreuzes zwei Kapellen zu Ingelheim und eine zu Groß-Winternheim. Sie sind längst verschwunden, und Erde häuft sich über den Grundmauern.

Die Kapelle zu Groß-Winternheim ist die älteste. Sie lag der älteren Pfarrkirche gegenüber und wurde um 1383 gestiftet. Vollendung und Einweihung zu Ehren des heiligen Kreuzes und der heiligen Jungfrau Katharina muß wenig später erfolgt sein. Mehrere Schenkungsurkunden aus dem Jahre 1383 sind erhalten... Die Kapelle wird noch in einer Urkunde vom 17. Mai 1499 und bei späteren Schriftstellern genannt.

Die Ingelheimer Kreuzkapellen standen an landschaftlich reizvollen Punkten, zu Ober-Ingelheim auf dem Westerberge in der heutigen Gewann „am alten Keller“, zu Nieder-Ingelheim „auf der Steig“ an jener Stelle, die heute die Dekkersche Villa krönt.

Die älteste dieser beiden Bergkirchen ist jene „off dem westerberge“, genauer „uff dem berge gelegen by dem walde zusschen hie obir Ingelnheim vnde appenheim“. (Der Historische Verein hat dort am 2. Juli 2012 einen Gedenkstein mit Inschrift eingeweiht.)

Erbaut um das Jahr 1416, hören wir von der Kreuzkapelle zu Nieder-Ingelheim rund 100 Jahre später und auffallender Weise erst zu einer Zeit, wo der Gottesdienst auf dem Westerberge bereits eingegangen und in die St.-Wigbert-Kirche - die heutige evangelische Kirche zu Ober-Ingelheim - verlegt war.

... Die Erbauung der Kapelle auf dem Westerberge ist zwischen 1416 und 1420 erfolgt. Eingeweiht wurde sie um 1420. Welche äußeren Vorgänge den Wunsch nach dem Baue aufkommen ließen, ist unbekannt. Jedenfalls war die Beteiligung zu Ober-Ingelheim allgemein, und zahlreiche Schenkungen bezeugen das dauernde Interesse der Bewohner. Wie so oft, standen auch hier die angesehensten und vermögendsten Bürger an der Spitze der Bauleitung, 1420 das Mitglied des Schöffenstuhles Wilhelm von Ingelheim...

Hinweise auf Schenkungen... enthalten die Gerichtsbücher im Laufe eines .Jahrhunderts in größerer Anzahl. Wir erfahren aus ihnen, daß die Verwaltung des Stiftungsvermögens besonderen Verwaltern, den Baumeistern übertragen war; daß zur Versehung des Gottesdienstes ein Altarist besoldet wurde, und daß die Gemeinde zu Ober-Ingelheim auf die Angelegenheiten der Stiftung Einfluß besaß. Die Gemeinde hat wohl den Bau und die Unterhaltung der Kapelle aus eigenen Mitteln unterstützen helfen...

Als in der Mainzer Stiftsfehde - um 1463 - schwärmende Mainzische Haufen alles in Brand steckten, was außerhalb der festen Mauern von Ingelheim lag, scheint auch die Kreuzkapelle auf dem Westerberge gelitten zu haben. Wenig später werden die Ritter Johann von Ingelheim und Heinrich Wolf von Sponheim bei dem Erzbischof Adolf II. von Mainz vorstellig, Altar und Pfründe in die Pfarrkirche zu verlegen, wo ein gleicher Altar errichtet und der in jener Kapelle gestiftete Gottesdienst wie früher ordentlich gehalten werden soll. Im Jahre 1469 gab Adolf die Genehmigung... 

Erst während der Reformation verfiel sie dem Abbruche, ein Geschick, das sie mit der Kreuzkirche auf der Steig teilte, der wir 1478 begegnen. Sie ist bei dem Kreuze erbaut worden, das bereits 1398 an dieser Stelle gestanden hat. In diesem Jahre redet eine Urkunde von einem Weinberge „an deme Cloppe an der menczerstrassen by deme Crucze“. Ein Baum beschattete es...

Über die späteren Schicksale dieser Kirche verlautet nichts. Sie ist nach der Reformation aufgegeben und später abgerissen worden. Wenn die Tradition, von der ich einst sagen hörte, richtig ist, sind die Steine dieser Kapelle an der alten Pfarrkirche von Nieder-Ingelheim, der heutigen katholischen Kirche, verbaut worden. Diese Nachricht gewinnt an großer Wahrscheinlichkeit durch eine um das Jahr 1739 ausgeführte Erneuerung von Chor und Schiff jener Kirche. „Auf der Kreuzkirch“ nennt sich die Stätte der ehemaligen Kreuzkapelle. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts ging der Pflug darüber und ärmliche Saat verriet die Grundmauern. Als auf demselben Platze ein Landhaus erbaut wurde, öffnete man als einziges Überbleibsel einen tiefen Brunnen.

 

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Gs, erstmals: 27.06.16; Stand: 19.12.20