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Die evangelischen Vorgängerschulen und die Pestalozzischule in Nieder-Ingelheim

 

Autor: Hartmut Geißler (stark überarbeitete und ergänzte Neufassung 2017)
ausführlich in BIG 56 (Geißler, Volksschulgeschichte)


Die evangelischen Vorgängerschulen

Die älteste bekannte reformierte Schulgebäude Nieder-Ingelheims von 1779 (Bild unten), dessen Bau nach der Kirchenteilung 1705/07 nötig wurde, stand an der Stelle des heutigen Museums. Es diente nach der Erbauung des zweistöckigen Schulhauses rechts daneben (1828) nur mehr als Lehrerwohnhaus und danach als anderweitiges Wohnhaus, bis das Gebäude 1934 abgerissen wurde und an seiner Stelle, leicht verschoben, der Bau des Nieder-Ingelheimer Feuerwehrgerätehauses errichtet wurde, der nun - erneut umgebaut - als Museum dient, das auf seine Erweiterung hofft.

Von links nach rechts erkennt man:

- die Hofeinfahrt in den landwirtschaftlichen Wirtschaftshof dahinter (den "Schulhof")
- in der Mitte des Gebäudes zweistöckig und mit je zwei Fenstern Lehrerwohnungen
- rechts neben der Eingangstür mit ihren vier Stufen den Klassensaal, wie üblich mit vier Fenstern

Auf dem Bild, das ca. 1905 aufgenommen wurde, sieht man hinter dem alten Schulhaus aus dem 18. Jahrhundert den zweistöckigen Neubau von 1828 (siehe unten) und auf der anderen Straßenseite das repräsentative Pfarrhaus der evangelischen Gemeinde von 1900/01.

 

 

Der einfache Schulneubau von 1828 (Bild unten) der seit 1822 vereinigten evangelischen Kirche  wurde nach Plänen des Landbaumeisters Friedrich Schneider gebaut. Er steht an der Ecke des François-Lachenal-Platzes zur Mainzer Straße neben dem heutigen Museum. Zu der damaligen Zeit waren nur einfache Bauten möglich, aber auch dringend nötig nach der Schulmisere der französischen Zeit. Denn damals wurden die Schulen den Kirchen entzogen und den weltlichen Gemeinden übertragen, die aber zur ihrer Unterhaltung viel zu wenig Geld hatten, auch wegen der Kriege Napoleons.

Anfangs wurde im Obergeschoss die "erste Abteilung" (die älteren Schüler - stets von oben gezählt!) und im Untergeschoss die "zweite Abteilung" mit den jüngeren Schülern unterrichtet. Ab 1836 diente das Gebäude zum Unterrichten von zwei "Schulen" mit je einem Lehrer und ab 1865 von drei "Schulen". Aber weil es dem Schüleransturm am Ende des Jahrhunderts nicht mehr gewachsen war, wurde die Pestalozzischule gebaut (siehe unten).

1917-1934 diente der Bau schon einmal zu Museumszwecken, als darin die Exponate des Historischen Vereins und die zoologischen Forschungsergebnisse des Afrika-Forschungsreisenden Carlo von Erlanger ausgestellt waren (diese befinden sich heute im Naturhistorischen Museum, Mainz). Sie wurden allerdings sehr unsanft und unsachgemäß von der NSDAP aus dem Gebäude entfernt, als es 1934 zum Parteihaus der NSDAP umgewandelt wurde. Nach dem Krieg diente es als städtisches Verwaltungsgebäude. In den letzten Jahren beherbergte es die "Forschungsstelle Kaiserpfalz" bis zu ihrem Umzug in die Pestalozzi-Schule 2016. In den nächsten Jahren soll der Bau nun in die Museumserweiterung einbezogen werden.


Links am Rand dieses Fotos sieht man das Museum,. das ehemalige Feuerwehrgerätehaus. Daneben gab es im Zuge des Grabens um den Ingelheimer Saal einen Löschteich ("Weede"), der zugeschüttet wurde, um zusammen mit dem Schulhof einen größeren Spielplatz für Kinder zu schaffen (Ingelheimer Anzeiger vom 29.10.1907). Beide Gebäude - das zweistöckige "alte" Schulhaus ebenso wie das Museum - leiden noch heute unter dem feuchten Untergrund.

 

Die Pestalozzi-Schule

Zur Homepage der Pestalozzi-Grundschule

Als das hessische Schulgesetz von 1875 die Einrichtung von simultanen Gemeindeschulen erleichterte, wurden auch die bisherigen konfessionellen Schulen von Nieder-Ingelheim in eine einzige, konfessionsübergreifende Schule (mit mittlerweile 7 "Schulen", d. h. Klassen mit jeweils einem Lehrer) umgewandelt, die freilich noch die alten Gebäude weiter benutzen mussten, bis neue gebaut waren.

Ein Plan, dieses neue Schulhaus an der Gemarkungsgrenze zu Ober-Ingelheim zu errichten, zerschlug sich, so dass man das erste neue Gebäude auf dem rückwärigen Gelände des Hofes zum Ochsen (1. Foto unten) errichtet. Es wude zum Hinterbau der Pestalozzi-Schule (2. Foto unten), mit einem 1903 noch darauf gesetzten dritten Stockwerk. Eingeweiht wurde es 1880 als zweistöckiges Gebäude für die Schüler der Klassen 1 bis 4, während die älteren Schüler weiterhin die Schulgebäude der ehemals konfessionellen Volksschulen besuchten, und zwar die Klassen 5 und 6 die ehemals evangelische Schule neben dem heutigen Museum (siehe oben), die Klasse 7 die ehemals katholische Schule (unterhalb der Remigiuskirche).

1910 unterrichteten 11 Lehrer 11 Klassen mit insgesamt 650 Schülern, d. h. 50 bis 60 Schüler in einer Klasse.

Die folgenden zwei Fotos zeigen den ehemaligen Hof zum Ochsen, damals Lehrerhaus, darunter den ersten Bau von 1880 in einer Aufnahme von 2015.


1912/13 wurde das Lehrerhaus an der Straße abgerissen, um den Vorderbau mit Turnhalle (Bild unten) für weitere 8 Klassen zu errichten. In seinem Keller wurde zusätzlich ein damals modernes Volksbad eingebaut.

Als Architekten für die neue Schule hatte die Gemeinde den renommierten Leiter der Landesbaugewerbeschule in Darmstadt verpflichtet, Hans Baptist Becker, der stark vom Einfluss des Darmstädter Jugendstiles und der Reformarchitektur geprägt war. In der Ingelheimer Nachbarschaft baute er die Volksschule in Gau-Algesheim und das Lyzeum der Englischen Fräulein in Bingen, die "Hildegardisschule".

 

Unten:

Zwischen den zwei wuchtigen Säulen des Eingangsportals wurde ein Kopfbild Pestalozzis angebracht und über dem Portalbogen ein Relief mit Kindern, die einen Früchtekorb tragen, und mit einem Bienenkorb - Symbole des fruchtbaren Fleißes (links Bild). In der pfeilergestützten Innenhalle fällt der Blick sofort auf einen aus Marmor gestalteten Wandbrunnen. Treppen führten aus dieser Eingangshalle hinunter zum Volksbad (rechtes Bild).

Schon beim Bau der Schule war kritisch angemerkt worden, dass sie an dieser Stelle zu wenig Platz für Erweiterungen hätte; und tatsächlich mussten alle Erweiterungsbauten bis in die jüngste Zeit nach hinten den Hang hinauf angefügt werden.

Im Jahre 2012 sind die letzten Klassen der neuen "Realschule Plus", die seit 2010 dort untergebracht waren, in ihren Neubau am Gänsberg umgezogen, sodass dieser Vorderbau sehr aufwändig für andere kulturelle Zwecke umgebaut werden konnte:

Er beherbergt seit 2016 in vier Etagen übereinander

- das wertvolle und gut geleitete Stadtarchiv
- die umfangreiche Museumsbibliothek,
die die wissenschaftliche Bibliothek des Historischen Vereins enthält, weitere Museumsräume und das Museumsdepot
- und die Forschungsstelle Kaiserpfalz,

sodass diese drei Kultur- und Forschungseinrichtungen durch kurze Wege miteinander verbunden sind und Benutzern sehr gute Arbeitsmöglichkeiten bieten.

Die Pestalozzi-Grundschule blieb in den dahinter liegenden Gebäuden.