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Ingelheimer Beteiligung an der Revolution 1848/49


Autor: Hartmut Geißler
nach Henn,Petry und Traub

Nachdem im Jahr 1842 das Verbot von Vereinsgründungen gefallen war, kam es auch in Ingelheim zur Gründung neuer Gesangs-, Turn- und Bürgervereine, die die frühnationalen und demokratischen Ziele jener Jahre vor der Revolution von 1848 vertraten (im sog. "Vormärz").

1846 wurde in Ober-Ingelheim der Gesangverein "Liederkranz" gegründet.

1847 wurde die Turngemeinde in Nieder-Ingelheim gegründet und

1848 im März die Turngemeinde in Ober-Ingelheim.

In deren Statuten hieß es zum Zweck des Vereins, sie sei "für die Freiheit und Einheit des deutschen Volkes" und werde sich an der "allgemeinen Volksbewaffnung zum Schutze der Freiheit und des deutschen Vaterlandes" beteiligen. Dies geschah auch (siehe unten).

Außerdem bestand in Ober-Ingelheim schon die linksliberale Casino-Gesellschaft (heute "Verein Haus Burggarten"). In Nieder-Ingelheim existierte ein gemäßigter liberal-konstitutioneller Verein (Traub, S. 154-155).

In Ober-Ingelheim wohnte seit den 30er Jahren der ehemalige napoleonische Offizier, freisinnige Jurist und Abgeordnete des Hessischen Landtages Dr. Martin Mohr, der die Wahlen zur Nationalversammlung in Frankfurt mit vorbereitete und als Abgeordneter des Wahlkreises Worms in sie einzog.

Er gehörte zu den damaligen Linksradikalen, zu den rheinhessischen "Demokraten", und in der Nationalversammlung zur sog. "Donnersberg - Fraktion", die ebenso wie ihr Vereinslokal in Erinnerung an die französischen Zeiten des Departement Donnersberg so genannt wurde. Als politisches Ziel hatten sie eine deutsche Republik, also die Abschaffung der Monarchien, und dieses Ziel war damals hoch revolutionär. Nach der Auflösung des Rumpfparlamentes in Stuttgart und der Niederschlagung der Revolution wurde er verhaftet, aber 1850 in Mainz freigesprochen, ebenso wie sieben weitere des Hochverrates angeklagte Ingelheimer.

 

 

 

 


Im Darmstädter Landtag wurde Mohr 1850 für ein Jahr zum Präsidenten gewählt (daher "Präsident Mohr")

In Ingelheim war er ein Mitgründer der damals linksliberalen Casino-Gesellschaft in Ober-Ingelheim, der "deutsch-katholischen", später "freireligiösen" Gemeinde sowie der Turngemeinde von 1848.

 

Eine Straße, eine Grundschule und ein Grabdenkmal auf dem Ober-Ingelheimer Kirchhof erinnern an ihn. Seine Inschrift lautet lapidar: "DEM FREUNDE SEIN VOLK". Seine relativ kleine Büste ruht auf einem mächtigen Sockel seiner Freunde, dem "Volk".

 

Zur Verteidigung der in Frankfurt zwar beschlossenen, von Preußen aber abgelehnten Verfassung bildeten sich ab März 1849 an vielen Orten Bürgerwehren, so in Ober-Ingelheim eine Bürgerwehr von 130 Männern, die auch von der Gemeinde finanziell unterstützt wurde. Als Meinungsführer gegen die großherzogliche Regierung taten sich in Ober-Ingelheim neben Mohr besonders hervor: der Arzt Dr. Karl August Gieswein (1816-1864) und Dr. Hermann Thudichum (1816-1877). (Traub S. 155)

Am 12. Juni 1849 wurde in Ingelheim ein Attentat auf den Kronprinzen und späteren Kaiser Wilhelm I.verübt, den Anführer der preußischen Truppen gegen die Aufständischen in der Pfalz. Aus einem Kornfeld etwa im heutigen Zentrum von Ingelheim wurde auf die Fahrzeuge des Kronprinzen ein Pistolenschuss abgefeuert, der aber nicht seinen Wagen traf, sondern den Postillon Johannes K. J. Fries eines zweiten Wagens verwundete. Ein später verhafteter 26jähriger Schneidermeister-Sohn aus Nieder-Ingelheim, Adam Schneider, wurde mangels Beweisen vom Mainzer Schwurgericht freigesprochen.

Den Aufständischen in der Pfalz schlossen sich unter anderem auch Freischärler aus Ingelheim an, darunter 270 Männer aus Ober-Ingelheim. Von ihnen wurden allerdings schon in Wörrstadt viele wegen ungenügender Bewaffnung wieder zurückgeschickt. Unter den 17 in dem Gefecht bei Kirchheim-Bolanden gefallenen Freischärlern war auch ein Ingelheimer, der 38jährige Jakob Wolf aus Ober-Ingelheim, ein Turner der TG (Ingelheimer Anzeiger, 12.06.1909).

In einer Zeitungsmeldung vom 21. Dezember 1922 wird ein Überlebender dieser Freischärler genannt:

O.-I.: Revolutionär von 1848 (richtig: 1849) Im 94. Lebensjahr verschied der älteste Bürger der Gemeinde, Brennereibesitzer Heinrich Dengel, mit dem ein Stück Geschichte Alt-Ingelheims zu Grabe getragen wird. Seine Jugend fiel in die Freiheits-Bewegung des Jahres 1848. Als 19jähriger Jüngling machte er die Freiheitskämpfe dieses Jahres mit, geriet bei Kirchheim-Bolanden in Gefangenschaft, von der er sich durch abenteuerliche Flucht in die Schweiz rettete..." (Chronik, S. 103)

Ober-Ingelheim wurde in der Darmstädter Zeitung als der radikalste Ort der Provinz Rheinhessen bezeichnet, aus dem das größte Kontingent von Freischärlern aufgebrochen sei (Meyer/Mentgen, S. 274). Um Ruhe und Sicherheit wieder herzustellen, verlegte die Darmstädter Regierung Truppen nach Ober-Ingelheim, denen dort Quartier gewährt werden musste. Beamte mussten aus der Casino-Gesellschaft austreten, weil sie nicht ganz zu Unrecht als Treffpunkt der Opposition eingestuft wurde.

Die Turnvereine mussten bis 1860 ihre Tätigkeit einstellen.

Zwei evangelische Lehrer in Ober-Ingelheim - Müller und Wenzel - erhielten "ernste Verweise" aus Darmstadt, und ihnen wurde zweimal verboten, ihre Schulsäle für Volksversammlungen zur Verfügung zu stellen.

Einzelheiten dazu siehe Extraseite Ingelh. Lehrer Revolution 48-49

 

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Gs, erstmals: 22.02.07; Stand: 05.12.20