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Der Bau der Ingelheimer Pfalz - ein Szenario


Autor: Hartmut Geißler
unter Benutzung von:
Weise, Georg: Staatliche Baufronden in Fränkischer Zeit. In: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Nr. 15, 1919/1920, S. 341-380
und Ley, Judith, in Aachen 2, S. 169-187


Anders als für Aachen gibt es zum Bau der Ingelheimer Pfalzanlage keine schriftlichen Quellen, die die Arbeit beschreiben. Aber aus archäologischen Funden und auch aus Bemerkungen zum Bau anderer Anlagen lassen sich einige Rückschlüsse ziehen, aus denen hier ein Szenarioversucht wird, das sich an die Untersuchungen von Georg Weise und Judith Ley anlehnt.
 

Sicherlich gab es sehr viel Arbeit für die hier Ansässigen und auch für Königsleute auf anderen Königshöfen der Umgebung, und zwar als Fronarbeit; inwieweit sie diese Frondienste für ihren Herren, den König, als eine drückende Last empfanden oder ob nicht auch willkommene Vorteile damit verbunden waren, lässt sich aus heutiger Sicht schwer entscheiden. Außerdem bestand eine Baupflicht für die Großen des Reichs, Herzöge, Grafen, Bischöfe und Äbte, die für Bauten des Königs Handwerker, Material und Transportmittel stellen mussten.

Von den Steinbrüchen der Umgebung, aber auch vom Rheinhafen oder von Mainz mussten jedenfalls sehr viele mühselige Fuhrdienste zur Pfalz geleistet werden. Der Verlauf der 7 km langen unterirdischen Wasserleitung musste ausgehoben, gemauert und wieder zugeschüttet werden. Ob man hier wie beim Bau der Aachener Pfalz darüber murrte, wissen wir nicht (Epperlein, S. 16; als DDR-Historiker hat er natürlich nach solchen "klassenkämpferischen" Meldungen gesucht.)

Schwerlasttransporte wie die der Säulenschäfte dürften nach einer Vermutung von Holger Grewe nicht in Frei-Weinheim angelandet worden sein, weil von dort die Transportwege hoch zum Palatium sehr sandig waren, sondern wahrscheinlicher in der Mainzer Friesensiedlung (heute Platz des Hilton-Hotels) mit guten Hafenanlagen. Von dort mussten sie auf noch brauchbaren römischen Straßen nach Ingelheim transportiert werden, entweder die längere Route im Rheintal über Mombach, Budenheim, Heidesheim oder kürzer, aber mit Steigungen, über den Mainzer Berg mit Finthen und Wackernheim.

Da das antike Wissen im Frankenreich, auch das Bauwissen, außerhalb von Klöstern, weitgehend verloren gegangen war, musste die Bauleitung Karls sehr wahrscheinlich auswärtige Bauspezialisten und qualifizierte Handwerker aus Oberitalien, aus Ravenna, der ehemaligen Hauptstadt des byzantinischen Exarchats, oder aus Pavia, der ehemaligen langobardischen Hauptstadt und vielleicht sogar mit päpstlicher Unterstützung aus Rom engagieren, was dem "König der Lombarden" (seit 774) gegen Bezahlung, versteht sich, nicht schwergefallen sein dürfte. Judith Ley vermutet, dass vor allem Fachleute aus Norditalien und westgotische Fachleute angeworben wurden (Ley in Aachen 2, S. 171-172). Den Bau der Aachener Marienkirche kurz vor der Jahrhundertwende soll nach einer überlieferten Inschrift ein Meister ("magister") Odo aus Metz geleitet haben. Namen von Personen, die die Ingelheimer Bauten geleitet haben, sind leider nicht überliefert.

Notker von St. Gallen "Balbulus" schreibt ein Jahrhundert später, dass Karl zum Bau der Aachener Pfalz und ihrer Marienkirche Meister und Handwerker aus allen Gebieten diesseits des Mittelmeeres habe holen lassen, also nicht aus Byzanz selbst (I, 28 und 31), wohl um die Gleichwertigkeit von Fachleuten im fränkischen Machtbereich mit denen im byzantinischen Reich zu betonen. Das dürfte bei der Ingelheimer Pfalz nicht viel anders gewesen sein.

Diese auswärtigen Fachleute müssen eigene Hütten, Häuser und Werkstätten in der Nähe des Bauplatzes erhalten haben, so dass man mit einer Handwerkersiedlung in der Nähe der Pfalzanlage rechnen muss, wie sie in Paderborn nachgewiesen wurde.

Dadurch dass solche auswärtigen Baufachleute nach Ingelheim kamen, die fremde Sprachen benutzten (Italiener, Griechen), kam ein Hauch der großen weiten Welt nach Ingelheim, erst recht mit den späteren hohen Gästen aus ganz Europa. Die Ingelheimer, die beim Bau und beim Betrieb der Pfalz mithelfen mussten oder durften, werden viel gestaunt und gelernt haben.

Ob in Ingelheim auch schon gleich eigene Häuser für Mitglieder des Hofes gebaut wurden, wie in Aachen z. B. für Einhard, ist eher unwahrscheinlich, wenn man die geringe Benutzung durch Karl bedenkt. Unter seinem Sohn Ludwig könnte es aber anders geworden sein. Notger berichtet davon für Aachen.

Insgesamt kann man von einer wachsenden Bevölkerungszahl auf dem Ingelheimer Königsland ausgehen. Nicht nur diese wachsende Bevölkerung, sondern auch die gewachsene Vorratshaltung für die neue Pfalz, deren Erfordernisse wahrscheinlich über die des bisherigen Königshofes beträchtlich hinaus gingen, erforderte eine Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzfläche.

Loersch rechnet sogar damit, dass der Umfang des Königslandes, das damals zur Versorgung der Pfalz diente, etwa doppelt so groß gewesen sei wie später der "Ingelheimer Grund" mit seinen acht Dörfern. Die Heiden und Wälder (Mainzer Berg, Rheinauen) waren gebannt und unterstanden einer eigenen Forstverwaltung, so dass für zusätzliche Urbarmachung nur andere Flächen in Frage kamen, möglicherweise weitere sumpfige Gebiete im Selztal aufwärts, die nun entwässert und nutzbar gemacht wurden. Die Bestimmungen zur Vorratshaltung solcher königlicher Höfe (nicht der Paläste!) werden uns in einer Regierungsverordnung überliefert, in dem "Capitulare de villis vel curtis imperii".

 

 

 

Der Grundbedarf an Bruchsteinen konnte aus den hiesigen Kalksandsteinbrüchen am Hang des Mainzer Berges gedeckt werden; solche heute als dekorativ empfundenen Kalk-Bruchsteine werden nach wie vor in Ingelheim gern verwendet. Unverputzt verwittern sie allerdings relativ schnell.

Links ein Privathaus im Pfalzbereich, in der Sebastian-Münster-Straße, wo das dekorative Bruchsteinmauerwerk  freigelegt wurde.


Da die Produktion von Marmorsäulen und anderen Kunstwerken in den Steinbrüchen von Carrara bzw. St.-Beat (Pyrenäen) seit dem 6. bzw. 7. Jahrhundert zum Erliegen gekommen war, mussten Steinbauten mit künstlerischen Ansprüchen seitdem mit Spolien (wiederverwendetem Material) aus früheren Bauten errichtet werden: "Fast alle erhaltenen Kirchenbauten Italiens aus der Zeit vor 1000 sind überwiegend aus Spolienmaterial errichtet. Spolien wurden zum wichtigsten Baumaterial öffentlicher Architektur." (Legler, S. 133).

So wurden auch zur Zeit Karls Säulen aus hartem Gestein oder bunte Platten aus Marmor und Porphyr zur Verkleidung und Verzierung von Fußböden und Wänden aus anderen Bauten geholt, wo möglich aus römischen Ruinen der Region. Ermoldus Nigellus berichtet (übertreibend), es seien 100 Säulen gewesen.

Lange Zeit hat man angenommen, dass die Säulen der Ingelheimer Pfalz aus römischen Ruinen im Mosel- und Rheintal entnommen wurden. Denn einen Transport von tonnenschweren Säulenschäften aus dem Mittelmeerraum über die Alpen an den Rhein mochte man sich für die karolingische Zeit nur schwer vorstellen. Aber Einhard stellte zum Bau in Aachen fest: "Weil er für deren Gemäuer Säulen und Marmor von woanders nicht erhalten konnte, sorgte er für ihren Abtransport aus Rom und Ravenna." (Cap. 26) Er schrieb allerdings nicht, auf welchen Routen sie von dort nach Aachen (und Ingelheim) transportiert wurden.


Einige von ihnen schienen aus dem Odenwälder Melaquarzdiorit zu bestehen (früher auch als "Hornblendegranit" oder "Syenit" bezeichnet, heute als "Tonalit"), die man aus den römischen Steinbrüchen bei Bensheim ("Felsenmeer") kennt; offenbar aber nicht die zwei hier abgebildeten Säulen im Ingelheimer Museum, wie nach einer doppelten Expertise des rheinland-pfälzischen Landesamtes für Geologie und Bergbau feststeht.

Siehe Themenseite "wandernde Säulen".


Jedenfalls hat Papst Hadrian I., vermutlich im Jahr 784, Karl brieflich erlaubt, kostbares Material (Mosaiken und Marmor, vom Boden und von den Wänden, freilich keine Säulen) aus einem Palast in Ravenna - dem ehemaligen byzantinischen Statthalterpalast? - zu entnehmen ("Palatii Ravennatis civitatis mosiva atque marmora ceteraque exempla tam in strato quam in parietis sita").

So könnten z. B. die folgenden Plattenfragmente aus Kalkstein, Marmor und Porphyr (im Ingelheimer Museum) tatsächlich aus Ravenna stammen, die mit Sicherheit ursprünglich in griechischen und ägyptischen Steinbrüchen (Assuan - Syene; daher die ältere Bezeichnung "Syenit") des Mittelmeerraumes produziert worden sind (Abbildung aus: BIG 43, S. 115).

 

Materialtransporte, wie sie zum Bau und auch zur späteren Unterhaltung der Pfalz nötig waren, setzten eine erhebliche Ausweitung und Verbesserung der Verkehrs-Infrastruktur voraus, d. h. der Straßen und vor allem der Hafenanlagen in Frei-Weinheim für die Anlandungen von Material. Über Frei-Weinheim gelangten aber nicht nur die Baumaterialien, sondern auch Massengüter zur Unterhaltung der Pfalz, also z. B. Brennholz, das in Ingelheim knapp war, und Getreide. Die bei Reichsversammlungen oftmals Tausende von Besuchern konnten aber mit Sicherheit nicht alle den Wasserweg benutzen, allein aus Kapazitätsgründen des Hafens, sondern dürften überwiegend auf zwei Straßen zur Pfalz gelangt sein, auf der oberen, der Mainzer/Binger Straße, und auf der unteren über Budenheim, Heidesheim (heute Turnierstraße).

Die Unterhaltung der Hafenanlagen war eine Aufgabe der Weinheimer, die deswegen zu den (militärdienst-) freien Königsmannen des Königsgutes gehörten und auch einige Abgaben nicht leisten mussten.

 

 

 

 

Wie nunmehr feststeht, wurde in karolingischer Zeit (nicht schon in römischer, wie auch vermutet wurde) eine über 7 km lange unterirdische Wasserleitung von Heidesheim nach Ingelheim gebaut, in alter römischer Technik, mit etwa dem gleichem leichtem Gefälle (0,64%), gespeist aus einem wasserreichen Quellgebiet am Hang der damaligen Heide auf dem Mainzer Berg, heute südöstlich von Heidesheim, zur Versorgung der Pfalz und ihrer Gäste mit fließendem Frischwasser.

Foto von 1906 mit Mitgliedern des Hist. Vereins.

 

 

 

 

Die dauerhafte Unterhaltung der Pfalz und ihrer Vorräte muss auch erhebliche soziale Wandlungen in Ingelheim zur Folge gehabt haben. Man rechnet mit ca. 800 bis 1000 Menschen, die zur ständigen Versorgung der Ingelheimer Pfalz benötigt wurden.

Aus einer Urkunde zur Zeit Ludwigs des Frommen (835) erfahren wir von einem "venerabilis vir" (ehrwürdigen Mann) namens Agano mit dem Titel "exactor palatii", der damals als Verwalter des Ingelheimer Königshofes einen Gebietstausch mit dem Kloster Prüm notariell abschloss. Er ist tatsächlich die einzige Person, die wir namentlich aus der langen Geschichte der Pfalzverwaltung bisher kennen, hält Classen fest (S. 100). In Aachen hieß der Verwalter des "Fiscus", des königlichen Grundbesitzes, "Actor" (Fried, S. 405).

Über die Ingelheimer Adelsfamilien, die teilweise aus der Verwaltung und dem Schutz von Königshof und Palast hervorgegangen sein dürften, berichtet Philipp Krämer in BIG 45 anhand von spätmittelalterlichen Prozessakten. Sie prägten mit den Schwerpunkten Ober-Ingelheim und Großwinternheim das Bild Ingelheims bis ins 17./18. Jahrhundert hinein.

 

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Gs, erstmals: 02.08.05; Stand: 22.09.22